Warum 12% Rohprotein nicht gleich 12% Protein ist und andere wichtige Erkenntnisse
Das Wichtigste in Kürze
- Rohanalysen sind ungefähre Werte: Die Werte geben eine grobe Orientierung, nicht die exakte Zusammensetzung
- Rohprotein ≠ verdauliches Protein: Ein hoher Rohproteinwert sagt nichts über die tatsächliche Proteinqualität aus
- Rohfaser zeigt Struktur an: Werte unter 8% deuten auf energiereiches, über 15% auf strukturreiches Futter hin
- Rohasche verrät Mineralstoffgehalt: Sehr hohe Werte können auf Füllstoffe oder Verunreinigungen hindeuten
- Energieangaben fehlen oft: MJ DE/kg wären wichtiger als die meisten anderen Werte, werden aber selten angegeben
- Marketing nutzt Analysewerte: Hohe Proteinwerte werden oft als Qualitätsmerkmal beworben, obwohl sie es nicht sind
Die analytischen Bestandteile wirken mit ihren Zahlen und Kommastellen oft wissenschaftlich und präzise, sind aber in Wahrheit eher grobe Schätzwerte, die nur begrenzt Aussagen über die tatsächliche Futterqualität zulassen. Für Pferdefutter spielen sie eine deutlich geringere Rolle als bei Hunde- oder Katzenfutter, da Pferde hauptsächlich Raufutter-Fresser sind und ihre Nährstoff- und Energieversorgung primär über Heu und Gras erfolgt. Daher müssten die Gehalte der Raufutterration streng genommen immer in die Gesamtration einbezogen werden – aber wer hat schon von jedem Heuballen eine Analyse und weiss auf das Gramm genau, wie viel sein Pferd davon pro Tag frisst?
Die „Rohanalysen“-Methodik verstehen
Warum „Roh“ vor allem steht
Die Bezeichnung „Roh“ in Rohprotein, Rohfett und Rohfaser hat nichts mit rohem, unverarbeitetem Futter zu tun. Sie bezieht sich auf alte, standardisierte Analyseverfahren aus dem 19. Jahrhundert, die zwar reproduzierbare, aber für die Nährstoffversorgung leider nicht besonders aussagekräftige Ergebnisse liefern.
Rohprotein wird durch Stickstoffmessung ermittelt und mit dem Faktor 6,25 multipliziert. Dabei wird unterstellt, dass alles Protein etwa 16% Stickstoff enthält. Das stimmt aber nur ungefähr, und nicht aller Stickstoff stammt aus verwertbarem Protein. Harnstoff beispielsweise ist stickstoffreich, aber völlig unbrauchbar als Proteinquelle.
Rohfett erfasst alle in Äther löslichen Substanzen – nicht nur Fette, sondern auch Wachse, ätherische Öle und andere Verbindungen. Bei Kräutern können ätherische Öle den Rohfettgehalt in die Höhe treiben, obwohl sie energetisch völlig anders zu bewerten sind als echte Fette.
Rohfaser misst nur die in verdünnten Säuren und Laugen unlöslichen Pflanzenteile. Moderne Analyseverfahren unterscheiden zwischen verschiedenen Fasertypen, weshalb beispielsweise bei Heuanalysen neben der Rohfaser noch eine ganze Reihe von anderen Faser-Werten angegeben werden. Aber die alten Rohfaser-Werte sind auf Mischfutter gesetzlich vorgeschrieben und werden daher nach wie vor ausgewiesen.
Rohprotein richtig interpretieren
Quantität versus Qualität
Ein Kraftfutter mit 18% Rohprotein klingt proteinreich und irgendwie hochwertig. Aber stammt das Protein aus hochwertiger Esparsette oder Leinsamen oder aus billigem Sojaextraktionsschrot? Sind alle essentiellen Aminosäuren enthalten oder fehlen wichtige Bausteine? Die Rohprotein-Analyse gibt darüber keine Auskunft.
Besonders problematisch wird es bei Mischfuttern mit vielen verschiedenen Proteinquellen unterschiedlicher Qualität. Ein hoher Rohproteinwert kann dann sogar nachteilig sein, wenn das Pferd mehr Protein erhält als es verwerten kann. Überschüssiges Protein belastet Leber und Nieren und muss aufwendig abgebaut und ausgeschieden werden. Daher sollte man eher auf die Qualität achten als auf die Gesamtmenge.
Als Faustregel gilt: je höher der Gehalt an Lysin, Methionin und Threonin in einem Futter, desto besser die Proteinqualität für das Pferd.
Rohprotein vs. verdauliches Protein
Dazu kommt, dass nicht alles Rohprotein auch gleichzeitig verdauliches Protein ist. Und nicht alles verdauliche Protein wird auch tatsächlich vom Pferd verdaut. Der Gehalt an Rohprotein beschreibt ungefähr den Gesamtproteingehalt in einem Futter (davon ausgehend, dass die Stickstoffquellen vorwiegend auch wirklich Proteine sind). Zieht man von diesem Wert den Anteil ab, der mit dem Kot wieder ausgeschieden wird, erhält man den Anteil an Protein, der verdaut worden ist, also das verdauliche Protein.
Leider verdaut aber nicht nur das Pferd in seinem Dünndarm Proteine, sondern auch die Mikroorganismen im Dickdarm unserer Vierbeiner. Dieser Anteil kommt allerdings nicht unbedingt dem Pferd zugute. Daher hat man mathematische Formeln entwickelt, um vom verdaulichen Protein auf das präcaecal verdauliche Protein zu kommen, das den Anteil beschreiben soll, der wirklich dem Pferd zur Verfügung steht.
Man hat also einen ungefähren, aus dem Stickstoffgehalt des Futters, berechneten Ausgangswert und nutzt diesen, um mit einer weiteren mathematischen Formel einen Wert zu berechnen, der vermutlich dann das ergibt, was an Protein vom Pferd verwertet werden kann. Allein dieser Hintergrund zeigt schon, dass die scheinbar so präzise Angabe an präcaecal verdaulichem Protein mit zwei Nachkommastellen eher ein ungefährer Schätzwert ist und zur wirklichen Rationsberechnung nur sehr begrenzt taugt. Die gute Nachricht an dieser Stelle: Die meisten Pferde sind durch gutes Heu und Weidegras mehr als ausreichend mit Proteinen versorgt, sodass man gar nicht lange mit seinen Kraftfutterrationen und den ungefähren Schätzwerten der Rohanalysen herumrechnen muss.
Bedarfsgerechte Proteinversorgung
Freizeitpferde benötigen nur etwa 6-9% Rohprotein im Gesamtfutter (inklusive Heu). Da gutes Heu üblicherweise bereits 6-12% Rohprotein liefert, ist der Bedarf meist schon über das Grundfutter gedeckt.
Sportpferde haben je nach Belastung einen erhöhten Bedarf von 10-14%. Hier kann proteinreicheres Kraftfutter sinnvoll sein, aber meist reichen moderate Mengen hochwertiger Proteinträger wie Esparsette oder Luzerne oder man kauft proteinreicheres Heu zu.
Zuchtpferde haben während Trächtigkeit und Laktation den höchsten Bedarf, der durchaus 14-16% erreichen kann. Hier ist die Zufütterung von frischem Weidegras (das deutlich höhere Proteingehalte hat als pferdegerechtes Heu) oder Proteinquellen in Form von Esparsette oder Luzerne durchaus empfehlenswert.
Protein-Fallen erkennen
Hersteller nutzen hohe Rohproteinwerte gerne als Verkaufsargument. „20% Rohprotein“ klingt nach Leistung, Qualität und Top-Muskulatur, kann aber für viele Pferde völlig überdimensioniert sein. Kritische Käufer fragen nach der Proteinquelle und dem tatsächlichen Bedarf ihres Pferdes. Denn Muskeln bauen sich leider nur durch entsprechendes Training auf, nicht automatisch durch proteinreiches Futter.
Rohfett und Energiedichte
Fett als Energielieferant
Rohfett ist der energiereichste Nährstoff und liefert etwa doppelt so viel Energie wie Kohlenhydrate oder Protein. Leider nutzen Pferde die Energie, die im Fett rechnerisch enthalten ist, aber nicht für ihren eigenen Energiegehalt. Stattdessen werden Fettsäuren als Ausgangsstoffe für die Synthese verschiedener Moleküle verwendet und teilweise auch als Fett eingelagert, z.B. als Herzkranzfett, um die Organe zu schützen.
Heu enthält üblicherweise 1-2,5% Rohfett. An diesen Wert sind Pferde von Natur aus angepasst. Füttert man also 10kg Heu, dann stehen dem Pferd 100-250g Rohfett zur Verfügung, die langsam über den Verlauf von 24 Stunden vom Körper aufgenommen werden. In dieser Form sind Fette für Pferde wertvoll und verdaulich.
In Form von zugesetzten Pflanzenölen wird es schon problematisch. Zum einen übersteigen die meisten Mischfutter die für das Pferd sinnvollen Werte an Rohfett deutlich, zum anderen kommen mit Mischfutter große Mengen an Fetten in sehr kurzer Zeit in den Darm. Hier können sie nicht ausreichend emulgiert und verdaut werden, was in Folge zu einer Menge Gesundheitsproblemen führen kann – von Dysbiosen bis zu einem gestörten Fettstoffwechsel der Haut.
Rohfettwerte von 3-6% sind Standard bei den meisten Kraftfuttern, in speziellen Leistungsfuttern oder bei Ölzugabe können die Werte auf über 8% steigen. Bei den üblicherweise für Kraftfutter empfohlenen Tagesrationen von 2kg sind das also schnell 160g Öl, die innerhalb von etwa einer halben Stunde in den Verdauungstrakt gelangen und dort nicht adäquat verdaut werden können.
Fettqualität entscheidet
Der Rohfettgehalt sagt zudem nichts über die Qualität der Fette aus. Leinöl mit wertvollen Omega-3-Fettsäuren wird genauso erfasst wie minderwertiges Palmöl. Auch hier ist die Zusammensetzung wichtiger als der reine Analysewert. Es ist oft sinnvoller, den Pferden in Zeiten zusätzlicher Belastung (z.B. dem Fellwechsel) eine Handvoll frisch geschroteten Leinsamen täglich zuzufüttern, als auf fettangereicherte Fertigfutter zu setzen.
Darüber hinaus muss man auch immer bedenken, dass die meisten reinen Fette und Öle mit Antioxidantien konserviert werden müssen, da vor allem die hochwertigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, schnell dazu neigen, ranzig zu werden. Sofern die Konservierungsmittel die Grenzwerte nicht überschreiten, müssen sie nicht einmal unter den technologischen Zusatzstoffen deklariert werden.
Rohfaser als Struktur-Indikator
Strukturbedarf erkennen
Rohfaser gibt Hinweise auf den Strukturgehalt des Futters. Pferde benötigen ausreichend Struktur für eine gesunde Verdauung. Diese Rohfaser gelangt normalweise über das Heu oder gutes Weidegras in den Verdauungstrakt. Gutes, pferdegerechtes Heu hat üblicherweise Rohfaser-Werte im Bereich von 30-36%. Höhere Werte weisen auf stark überständiges Heu hin, Werte deutlich unter 30% auf einen zweiten oder dritten Schnitt mit hohem Blattanteil, der nicht unbedingt für Pferde geeignet ist.
In Mischfuttermitteln spielt der Rohfaserwert keine Rolle, da sie nicht der Versorgung des Pferdes mit Struktur dienen, sondern dem Nährstoffausgleich. Im Gegenteil weisen hohe Rohfasergehalte darauf hin, dass eine Menge nährstoffarmer Füllstoffe dem Futter zugesetzt wurden, um den Sack vollzumachen und den Profit zu optimieren.
Rohfaser-Fallen
Hohe Rohfaserwerte werden oft als „natürlich“ und „gesund“ beworben. Das stimmt nur bedingt – als Heu gefüttert, sind hohe Rohfaserwerte tatsächlich erwünscht, denn sie ernähren das Mikrobiom im Dickdarm und sorgen damit für die optimale Versorgung des Pferdes mit Energie und wichtigen Nährstoffen. Im Mischfutter für den Trog möchte man hingegen niedrige Rohfaserwerte sehen, denn hier will man eine hohe Nährstoffdichte und wenig Faseranteil füttern. Insbesondere die Anreicherung von Mischfuttern mit gehäckseltem Heu („Aufwuchs von Dauergrünland“) oder gehäckselter Luzerne ist problematisch, da die verwendeten Faserlängen von Pferden nicht ausreichend gekaut und damit zerkleinert werden können. Sie gelangen als zu lange Fasern in den Dickdarm, wo sie die Peristaltik stören und zu Fehlgärungen (Dysbiosen) beitragen. Hier sind also hohe Rohfaserwerte klar negativ zu bewerten.
Eine Ausnahme sind Pellets aus Heu, Luzerne, Esparsette oder ähnlichen Pflanzen, die naturgemäß einen hohen Rohfasergehalt haben und aus bestimmten Gründen gefüttert werden, beispielsweise wenn Pferde ihr Heu nicht mehr ausreichend kauen können. Auch Kräutermischungen haben natürlich einen hohen Rohfasergehalt, diese werden aber üblicherweise nicht wegen ihres Fasergehalts, sondern wegen ihrer therapeutischen Wirkung aufgrund der enthaltene sekundären Pflanzenstoffe gegeben.
Rohasche – der unterschätzte Wert
Was Rohasche verrät
Rohasche ist der Rückstand nach Verbrennung aller organischen Substanzen – vereinfacht gesagt der Mineralstoffgehalt. Normale Werte liegen bei 5-12% für Mischfutter. Werte von 5-6% sind häufig in reinen Pflanzen (z.B. Heuanalysen) zu finden, entsprechen also in etwa dem natürlichen Mineralgehalt der verwendeten Rohstoffe. Liegt der Rohasche-Wert höher, sollte man einen Blick auf die Zusammensetzung und die Zusatzstoffe werfen. In der Zusammensetzung sind die Mengenmineralien aufgeführt (z.B. Calciumphosphat oder Natriumchlorid), in den Zusatzstoffen findet man die Spurenelemente. Sind sie zugesetzt, steigt natürlich der Rohasche-Wert.
Hohe Rohaschewerte können jedoch verschiedene Ursachen haben: viele zugesetzte Mineralstoffe oder Spurenelemente, aber auch erdige Verunreinigungen, Kieselgur als Rieselhilfe oder manche Füllstoffe.
Mineralfutter-Besonderheit
Bei reinen Mineralfuttermitteln sind Rohaschegehalte von 40-80% normal und erwünscht. Nur Futter mit über 40% Rohasche dürfen sich „Mineralfuttermittel“ nennen. In diesem Fall müssen die ganzen „Roh-Werte“ nicht mehr deklariert werden, weil sie zu vernachlässigen sind gegenüber dem hohen Mineralgehalt. Viele als „Mineralfutter“ beworbene Produkte liegen jedoch darunter und sind rechtlich „Ergänzungsfuttermittel“ – ein Hinweis auf viele Füllstoffe.
Werte, die oft fehlen
Energie-Angaben
Ein praktischer Wert für die tägliche Fütterung wäre der Energiegehalt, meist angegeben als MJ DE/kg (Megajoule verdauliche Energie pro Kilogramm). Leider ist diese Angabe nicht verpflichtend und fehlt bei vielen Futtern. Allerdings gilt auch hier wieder, dass die meisten Pferde schon mit ihrem Heu ausreichend mit Energie versorgt sind. Lediglich Hochleistungs-Sportpferde müssen in ihrer Energiebilanz gesondert betrachtet werden, da die Versorgung über Heu nicht immer ausreicht.
Zucker- und Stärkegehalt
Diese für viele Pferde wirklich wichtigen Werte sind nicht verpflichtend und werden oft verschwiegen. Dabei sind sie für stoffwechselempfindliche Pferde entscheidender als die meisten anderen Analysewerte.
Praktische Bedeutung für die Fütterung
Analysewerte richtig gewichten
Für die praktische Pferdefütterung sind die analytischen Bestandteile meist weniger wichtig als oft angenommen. Viel entscheidender sind:
- Die Zusammensetzung – welche Rohstoffe sind tatsächlich enthalten?
- Die Qualität der Rohstoffe – stammt das Protein aus hochwertigen Rohstoffen oder aus minderwertigen Quellen?
- Die Bedarfsgerechtigkeit – passt das Futter zum individuellen Pferd und seiner tatsächlichen Leistung?
- Das Preis-Leistungs-Verhältnis – stimmt die Qualität der Inhaltsstoffe zum verlangten Preis?
Wann Analysewerte wichtig werden
Bei kranken Pferden können Analysewerte durchaus relevant sein. Nierenprobleme erfordern eine sorgsam im Proteingehalt eingestellte Fütterung, Insulinresistenz macht niedrige Zucker- und Stärkewerte wichtig. Bei Leistungssport sind Energie- und Proteingehalte wichtiger als bei Freizeitnutzung. Bei Mineralfuttern zeigen hohe Rohaschegehalte echte Mineralstoffkonzentration an.
Analysewerte in Perspektive setzen
Analytische Bestandteile sind Pflichtangaben, aber für Pferdefutter meist nicht die entscheidenden Qualitätskriterien. Sie geben grobe Orientierung, ersetzen aber nicht den kritischen Blick auf Zusammensetzung und Rohstoffqualität. Wer sich zu sehr auf Analysewerte fixiert, übersieht oft wichtigere Aspekte wie die Herkunft der Rohstoffe oder die Bedarfsgerechtigkeit. Ein Futter mit moderaten Analysewerten aus hochwertigen Einzelfuttermitteln ist meist besser als eines mit spektakulären Werten aus minderwertigen Komponenten.
Die Kunst liegt darin, Analysewerte als eine Information unter vielen zu nutzen, ohne ihnen mehr Bedeutung beizumessen, als sie tatsächlich haben. Für die meisten Freizeitpferde sind die Zusammensetzung und die Qualität der Rohstoffe deutlich wichtiger als die letzten Prozentpunkte bei Protein oder Rohfaser.