Vom Offenstall bis zur Paddockbox – ein Wegweiser durch den Dschungel der Haltungsformen
Das Wichtigste in Kürze:
- Es gibt kein „perfektes“ Haltungssystem – entscheidend ist, dass es passt zwischen Pferd, Besitzer und Rahmenbedingungen
- Offenstall, Aktivstall und Paddock Trail Stall kommen den natürlichen Bedürfnissen am nächsten, erfordern aber gutes Management
- Boxenhaltung kann bei richtiger Gestaltung und ausreichend Auslauf akzeptabel oder für manche Pferde sogar die beste Lösung sein
- Die Bedürfnisse ändern sich mit Alter, Gesundheitszustand und Nutzung des Pferdes
- Ein schlechter Offenstall ist oft problematischer als eine gut geführte Boxenhaltung
- Entscheidend sind nicht nur die baulichen Gegebenheiten, sondern auch Fütterung, Herdenmanagement und Betreuungsqualität
Das Spektrum der Haltungsformen: Von naturnah bis komfortabel
Die moderne Pferdehaltung bietet ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Jedes System hat seine Berechtigung – wenn es richtig umgesetzt und zum jeweiligen Pferd passend gewählt wird.
Die großen Kategorien im Überblick
- Bewegungshaltung (Offenstall, Aktivstall, Paddock Trail): Das Pferd kann sich rund um die Uhr frei bewegen und hat permanent Sozialkontakt. Diese Systeme kommen dem natürlichen Verhalten am nächsten.
- Kombinationshaltung (Paddockbox, Box mit Auslauf): Geschützte Ruhebereiche werden mit Bewegungsmöglichkeiten kombiniert. Ein Kompromiss zwischen Sicherheit und Bewegungsfreiheit.
- Stallhaltung (Innenbox, Außenbox): Das Pferd verbringt den Großteil der Zeit in einem geschützten, aber begrenzten Raum. Bewegung erfolgt nur während gezielter Auslaufzeiten, z.B. wenn der Besitzer zum Reiten kommt.
- Weidehaltung (Sommer- oder Ganzjahresweide): Extensive Haltung auf größeren Flächen, oft saisonal begrenzt oder mit Zufütterung kombiniert.
Offenstall: Der naturnahe Klassiker
Der Offenstall gilt vielen als „Goldstandard“ der artgerechten Haltung und kommt den evolutionären Bedürfnissen der Pferde auf den ersten Blick am nächsten.
Die Vorteile der Offenstallhaltung
Der größte Vorteil liegt in der permanenten Bewegungsfreiheit, die es dem Pferd ermöglicht, selbst zu bestimmen, wann und wie viel es sich bewegt. Diese Selbstbestimmung wirkt sich positiv auf die gesamte körperliche Verfassung aus. Gleichzeitig erleben die Pferde jede Menge Sozialkontakt durch das Leben in der Herde mit allen natürlichen sozialen Interaktionen. Bei guter Gestaltung ist auch das natürliche Fressverhalten möglich, da Raufutter rund um die Uhr verfügbar gemacht werden kann.
Aus wirtschaftlicher Sicht überzeugt der Offenstall durch geringere Baukosten pro Pferd im Vergleich zu Einzelboxen und deutliche Arbeitsersparnis, da weniger tägliche Stallarbeit im Bezug auf die Fütterung anfällt. Allerdings braucht man bei den meisten Offenställen für das Ausmisten deutlich länger als bei einem Boxenstall, was die Zeitersparnis dann wieder ausgleicht.
Die Herausforderungen des Systems
Der größte Knackpunkt liegt im Herdenmanagement, das fundierte Erfahrung bei der Gruppenzusammenstellung erfordert. Rangkämpfe können zu Verletzungen führen, besonders wenn die Gruppe nicht harmoniert oder ungeeignete Partner zusammengestellt werden. Häufige Wechsel, zu große Gruppen oder überfüllte Offenställe sind leider keine Seltenheit und können die Lebensqualität der Pferde deutlich beeinträchtigen und zu dauerhaftem Stressverhalten führen. Die Wetterabhängigkeit stellt eine weitere Herausforderung dar, da nicht alle Pferde mit allen Witterungsbedingungen gleich gut zurechtkommen.
Die individuelle Fütterung wird schwieriger, je größer die Gruppen werden, und auch die Trainingsplanung erfordert mehr Flexibilität, da die Pferde oft erst eingefangen werden müssen. Und gerade in der nassen Jahreszeit kann es passieren, dass das Pferd so durchweicht oder schlammverkrustet ist, dass das Putzen vor dem Reiten eine echte Herausforderung darstellt.
Passt zu: Robusten Pferden, sozial verträglichen Charakteren, Freizeitpferden ohne intensive Nutzung.
Aktivstall: Technik trifft Natur
Der Aktivstall verbindet die Vorteile der Gruppenhaltung mit technischen Lösungen für individuelles Management.
Das Konzept
Computergesteuerte Systeme regulieren Futteraufnahme und Bewegung. Das Pferd trägt einen Chip und erhält in verschiedenen Bereichen (Futter-, Wasser-, Ruhebereich) individuell dosierte Rationen.
Vorteile des technischen Ansatzes
Das Computersystem ermöglicht individuelle Kraft- oder Mineralfuttergaben trotz Gruppenhaltung, was besonders bei Pferden mit unterschiedlichen Nährstoffbedürfnissen von Vorteil ist. Durch geschickte Wegeführung zwischen verschiedenen Stationen: Futterautomat, Heuraufe, Wasser und Ruheplätzen, entsteht kontrollierte Bewegung, und das System sammelt kontinuierlich Daten über Fress- und Bewegungsverhalten der einzelnen Pferde.
Grenzen des Hightech-Stalls
Die hohen Investitionskosten von 8.000 bis 15.000 Euro pro Pferdeplatz stellen für viele Betriebe eine erhebliche Hürde dar. Die technische Abhängigkeit kann problematisch werden, wenn Stromausfälle oder Defekte auftreten und das System lahmgelegt wird. Kritiker bemängeln zudem die künstliche Strukturierung natürlicher Verhaltensweisen durch die Technik sowie den hohen Wartungsaufwand, der regelmäßige technische Betreuung erfordert. Leider muss man auch oft beobachten, wie es zu Rangeleien vor den Futterautomaten kommt, weil häufig zu wenige Automaten für die Anzahl der Pferde vorhanden sind. Die Fütterung von Raufutter über Automaten ist bei Pferden abzulehnen, sie sorgt für erzwungene Fresspausen und erhebliches Stress- und Aggressionsverhalten.
Passt zu: Pferden mit besonderen Fütterungsanforderungen wie kraftfutterbetont gefütterten Sportpferden, technikaffinen Betreibern mit entsprechenden finanziellen Mitteln

Paddock Trail: Wandern im Kreis
Das Paddock Trail System ahmt die natürlichen Wanderbewegungen wilder Pferde nach, indem verschiedene Funktionsbereiche durch Wege verbunden werden.
Die Grundidee
Raufutter-, Wasser-, Ruhebereich und Salzleckstein werden bewusst räumlich getrennt und durch ein Wegesystem verbunden. Die Pferde müssen sich bewegen, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Besondere Stärken des Trail-Systems
Das System fördert die natürliche, entspannte Bewegung, bei der Pferde bis zu 15 Kilometer täglich zurücklegen können, ohne dass sie dazu gedrängt werden müssen. Die Hufgesundheit profitiert erheblich von verschiedenen Untergründen (Stein, Kies, Sand, Schlamm etc.), die Durchblutung und Hornqualität fördern. Auch bei kleineren Flächen lässt sich das Konzept flexibel umsetzen, und überdachte Bereiche können problemlos integriert werden, wodurch das System weitgehend wetterunabhängig funktioniert. Da man den Wegen beim Abmisten folgt, reduziert sich meist die Arbeitszeit, die man für das Abmisten braucht, im Vergleich zu klassischen Offenställen.
Was gegen den Trail spricht
Die komplexe Planung erfordert durchdachte Gestaltung und ein gutes Management, das über Standard-Stallbetrieb hinausgeht. Die Baukosten fallen höher aus als bei einem einfachen Offenstall, da eine aufwendigere Infrastruktur notwendig ist, vor allem wenn schwieriges Gelände wie Hügel, Lehmböden und ähnliche Herausforderungen gemeistert werden müssen. Außerdem müssen sich die Pferde erst an das System gewöhnen, was eine Lernphase bedeutet, die nicht alle Pferde gleich schnell durchlaufen.
Passt zu: Freizeitpferden mit Neigung zu Übergewicht, bei begrenzten Flächengrößen, als Reha-Haltung
Warum manche Pferde den Trail erst lernen müssen
Pferde, die jahrelang in Boxenhaltung standen, haben oft verlernt, größere Strecken von sich aus zu laufen. Sie stehen anfangs oft am ersten Futterplatz und bewegen sich nicht mehr weiter. Eine Eingewöhnung kann beispielsweise darüber erfolgen, dass die Futterplätze, die nah am Stall sind, nur mit wenig Heu gefüllt werden und schnell leergefressen sind. Das zwingt die Pferde, zu den weiter entfernten Fressplätzen zu laufen, um weiterfressen zu können. Auch „Lockmittel“ wie einzelne Heunetze mit besonders schmackhaftem Heu, die maximal weit entfernt aufgehängt werden, sorgen schnell dafür, dass die Pferde ihr natürliches Wanderverhalten wieder aktivieren, um nachzusehen, ob das Netz da hinten nicht vielleicht eine leckere Überraschung bietet.
Paddockbox: Der goldene Mittelweg?
Die Paddockbox kombiniert einen geschützten Innenbereich mit einem privaten Auslauf und wird oft als Kompromiss zwischen Sicherheit und Bewegungsfreiheit gesehen.
Aufbau und Funktion
Eine ansonsten geschlossene, normale Pferdebox öffnet sich zu einem privaten Paddock. Im optimalen Fall wird Heu sowohl in der Box als auch auf dem Paddock angeboten. Das Pferd kann entsprechend immer selbst entscheiden, ob es drinnen oder draußen sein möchte.
Was für die Kombination spricht
Die Wetterunabhängigkeit ist ein großer Vorteil, da bei extremer Witterung immer Schutz verfügbar ist. Jedes Pferd kann individuell zugefüttert werden, da es separat erreichbar ist und kein Herdenmitglied den Futterkübel leerfressen kann, wenn man nicht hinschaut. Auch das Verletzungsrisiko durch Rangkämpfe entfällt komplett.
Die Schwächen des Systems
Der meist nur mögliche Sichtkontakt zu Nachbarn schränkt die sozialen Interaktionen erheblich ein. Viele Paddocks sind zu klein für echte Bewegungsfreiheit (also eher ein Appartement mit Balkon als ein Haus mit Garten). Die höheren Kosten durch den größeren Bauaufwand für befestigte Paddocks und stabile Zäune im Vergleich zu einfachen Boxen belasten das Budget, und die mögliche Isolation kann bei sozialen Pferden zu Verhaltensproblemen führen.
Passt zu: Hengsten, die nicht in Gruppen gehalten werden können oder sollen, sehr wertvollen Tieren, als Übergangslösung

Klassische Boxenhaltung: Noch zeitgemäß?
Die traditionelle Boxenhaltung steht oft in der Kritik, kann aber bei richtiger Gestaltung und ausreichend Auslauf durchaus pferdegerecht sein.
Wann Boxenhaltung funktioniert
Eine erfolgreiche Boxenhaltung steht und fällt mit ausreichendem Auslauf von mindestens sechs bis acht Stunden täglich in einer sozialen Gruppe, gerne auch länger. Entscheidend ist auch der Sozialkontakt während der Boxenzeit, der zumindest Sicht- und möglichst auch Berührungskontakt zu Nachbarn ermöglichen sollte. Achtet man darauf, nur verträgliche Pferde nebeneinander aufzustallen, kann man oft einen Teil der Trennwand oberhalb von etwa Brusthöhe entfernen, was einen intensiveren Sozialkontakt ermöglicht. Die Boxengröße muss angemessen sein, wobei mindestens neun Quadratmeter für Kleinpferde und zwölf Quadratmeter für Großpferde als absolutes Minimum gelten. Je größer, desto besser. Gute Belüftung durch hohe Decken, eventuell Firstbelüftung und offene Fenster sorgt für Frischluft ohne störende Zugluft, und verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten wie gut gefüllte Heunetze oder Knabberäste helfen gegen die Langeweile in der Nacht.
Wo die Probleme liegen
Bewegungsmangel ist das größte Problem, besonders wenn der tägliche Auslauf unzureichend ist. Leider gibt es immer noch viele Ställe, wo die Pferde – zumindestens im Winterhalbjahr – den größten Teil des Tages in der Box verbringen und oft nur rauskommen, wenn der Besitzer zum Reiten kommt. Die soziale Isolation belastet viele Pferde, auch wenn visueller Kontakt möglich ist. Langeweile führt häufig zu Stereotypien und anderen Verhaltensstörungen, und bei schlechter Belüftung oder staubiger Einstreu können Atemwegsprobleme entstehen.
Passt zu: Kranken oder verletzten Tieren (temporär), sehr unverträglichen, nicht sozialisierbaren Charakteren
Weidehaltung: Zurück zu den Wurzeln?
Die extensive Weidehaltung kommt dem natürlichen Lebensraum am nächsten, ist aber nicht überall und für jedes Pferd geeignet.
Formen der Weidehaltung
- Saisonale Weidehaltung: Meist von Frühjahr bis Herbst, mit Stall oder Offenstallhaltung im Winter
- Ganzjahresweide: Robusthaltung das ganze Jahr über im Freien auf weitläufigen Weideflächen
Voraussetzungen für erfolgreiche Weidehaltung
Ausreichende Fläche ist die Grundvoraussetzung, wobei mindestens zwei bis drei Hektar pro Pferd zur Verfügung stehen sollten. Die Futterqualität muss stimmen, was artenreiche, nicht überdüngte Weiden oder oder mit nur wenigen Hochzuckergräsern bedeutet. Wetterschutz ist essentiell, egal ob natürlich durch Bäume und Geländeformen oder künstlich geschaffen, z.B. Unterstände oder Weidezelte. Saubere, ständig verfügbare Tränken sichern die Wasserversorgung, und ein durchdachtes Parasitenmanagement mit regelmäßiger Kotprobe und Weiderotation mit ggf. Wechselbeweidung mit Wiederkäuern hält die Gesundheitsrisiken in Grenzen.
Passt zu: Robustrassen, Zuchtstuten und Aufzuchtpferden, sehr extensiv genutzten Pferden, aber grundsätzlich nur bei ausreichenden Flächen
Welches System für welches Pferd?
Die Wahl des Haltungssystems sollte individuell erfolgen und verschiedene Faktoren berücksichtigen.
Alter und Entwicklung
Jungpferde profitieren von Gruppenhaltung für die Sozialisierung, brauchen aber sichere Umgebung ohne Verletzungsrisiko. Ältere Pferde sollten als „Lehrer“ in der Gruppe sein, um Mobbing und andere Unarten unter den pubertären Youngstern zu unterbinden. Ideal sind Weidehaltung im Sommer und weitläufige Offenställe oder Paddock Trail Ställe im Winter.
Erwachsene Pferde sind meist flexibel, wenn die Grundbedürfnisse erfüllt werden und können sich an unterschiedliche Haltungsformen gewöhnen. Dabei sollte man aber beachten, dass Schimmel und Schecken oft in Gruppen schlecht oder gar nicht akzeptiert werden. Sie sind dann oft ganz am Ende der Hierarchie und man muss darauf achten, dass sie ihre Bedürfnisse erfüllen können. Alternativ prügeln sie sich – bei entsprechendem Charakter – an die Spitze der Herde, sind aber keine souveränen Herdenchefs, sondern dauergestresste Diktatoren.
Senioren haben oft erhöhte Ansprüche an Witterungsschutz und benötigen leichten Zugang zu Futter und Wasser. Auch ist oft die Zufütterung mit größeren Mengen an eingeweichten Heucobs nötig und sie haben Sorge, sich hinzulegen, wenn die Gruppe eher unruhig ist und sie sich nicht sicher genug fühlen. Rangkämpfe bei Neuzugängen oder wild spielende Jungpferde können für ältere Pferde ebenfalls problematisch werden. Sie profitieren oft eher davon, über Nacht separiert zu werden und „ihre“ Box zu haben mit dicker Einstreu, Heu satt und einem großen Kübel eingeweichter Heucobs. So lässt sich auch der Sozialstress der Gruppenhaltung über Tag gut kompensieren.
Gesundheitszustand
Gesunde Pferde vertragen fast alle Haltungsformen bei entsprechender Gestaltung.
Chronisch kranke Pferde (EMS, Cushing, Arthrose, Hufrehe, Equines Asthma etc.) brauchen oft speziellere Betreuung, eine besondere Fütterung oder kontrollierte Bewegung. Hier muss man im Einzelfall schauen, welcher Stall oder welche Haltungsform für das individuelle Pferd passt.
Rekonvaleszente Pferde benötigen meist temporär ruhigere Haltung mit kontrollierter Bewegung. Sie können in einem Integrationsbereich im Offenstall oder eine großzügigen Paddockbox besser aufgehoben sein als in einem Offenstall, wo sie auch mal einen Kaltstart hinlegen müssen, wenn der Chef um die Ecke kommt.
Nutzung und Training
Freizeitpferde kommen meist gut mit naturnahen Haltungsformen zurecht. Auch die Besitzer sind in der Regel flexibel, wenn das Pferd sich beispielsweise, gerade bevor man in den Stall kommt, im Schlamm gewälzt hat. Dann gibt es eben einen Tag Bodenarbeit statt Reiten oder nur einen Spaziergang, bis das Pferd wieder trocken ist. Manche Warm- oder Vollblüter benötigen allerdings in der nasskalten Jahreszeit eine Decke, hier sollte man höheren Verschleiß durch Spielen bei Gruppenhaltung einrechnen.
Sportpferde brauchen oft kontrolliertere Bedingungen und einfacheren Zugang für den Menschen für das Training. Daher stehen sie oft in Boxen oder Paddockboxen. Jedoch profitieren auch Hochleistungspferde davon, wenn sie den Tag auf einem großzügigen Auslauf in Pferdegesellschaft verbringen können: Die Muskulatur ist geschmeidiger, das Wesen ausgeglichener und die Leistungsbereitschaft höher als nach frustrierend-langweiligen 23 Stunden Boxenhaft.
Zuchtpferde haben spezielle Anforderungen je nach Geschlecht und Zuchtstatus. Hengste werden in der Regel in Einzelhaltung stehen, da nur wenige Gestüte eine naturnahe Zucht ermöglichen, wo der Hengst mit seinen Stuten und Fohlen mitläuft. Zuchtstuten stehen meist in Lauf- oder Offenställen, zusammen mit ihrem Nachwuchs, werden jedoch häufig rund um den Geburtstermin in Abfohlboxen aufgestallt, da diese mit Kameras überwacht sind, um im Notfall eingreifen zu können.
Charakter und Sozialverhalten
Sozial verträgliche Pferde eignen sich für alle Gruppenhaltungsformen.
Dominante Pferde können in falschen Gruppen Probleme verursachen, in der richtigen Gruppe aber sehr souveräne Chefs abgeben.
Ängstliche und rangniedrige Pferde brauchen oft mehr Sicherheit und Rückzugsmöglichkeiten, sie profitieren davon, zumindest zeitweise (z.B. über Nacht) separiert zu werden.
Unverträgliche Pferde sind manchmal in Einzelhaltung besser aufgehoben.
Das beste Haltungssystem nutzt nichts, wenn es nicht zum individuellen Pferd passt – Flexibilität bei der Systemwahl ist oft wichtiger als Prinzipien.
Die Rahmenbedingungen entscheiden mit
Selbst das theoretisch beste Haltungssystem kann in der Praxis versagen, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Fütterungsmanagement
- Raufutterqualität: Schlechtes Heu kann auch im besten Offenstall zu Problemen führen
- Fütterungsrhythmus: Fresspausen sind in jedem System problematisch
- Kraftfuttergabe: Muss an Haltungsform und Bewegungsmöglichkeiten angepasst werden
Herdenmanagement
- Gruppenzusammensetzung: Falsche Kombinationen führen zu Stress und Verletzungen
- Eingewöhnung: Neue Pferde müssen behutsam integriert werden
- Monitoring: Regelmäßige Beobachtung der Herdendynamik ist essentiell
Betreuungsqualität
- Sachkenntnis: Der Betreiber muss das gewählte System verstehen und beherrschen und ein „Pferdemensch“ sein, der die feinen Zwischentöne der sozialen Interaktionen zu lesen weiss
- Zeitaufwand: Jedes System braucht angemessene Betreuung
- Flexibilität: Bei Problemen muss schnell reagiert werden können
Der „schlechte Offenstall“ vs. die „gute Box“
Ein häufiger Denkfehler ist die Annahme, dass naturnahe Offenstallhaltung automatisch besser ist als jede Box. In der Realität kann ein schlecht geführter Offenstall jedoch problematischer sein als eine gut geführte Boxenhaltung.
Wenn Offenstall nicht funktioniert
- Überbelegung führt zu Dauerstress
- Schlechte Bodenverhältnisse (z.B. Schlamm um die Raufen) verursachen Hufprobleme und Hautirritationen an den Beinen
- Ungeeignete Gruppenzusammenstellung resultiert in Mobbing
- Mangelnder Witterungsschutz oder zu kleine Unterstände schwächen die Gesundheit
- Unzureichende Futterplätze oder sparsame Heufütterung wegen übergewichtigen Herdenmitgliedern schaffen permanente Konflikte
Wenn Boxenhaltung gut gemacht ist
- Ausreichender Tagesauslauf kompensiert die Einschränkung
- Guter Sozialkontakt zu Nachbarn in der Box und zur Gruppe auf dem Auslauf
- Individuelle Betreuung und Fütterung nach Bedarf
- Schutz vor Witterung und Verletzungen
- Ruhe und Sicherheit für ängstliche, rangniedrige und alte Pferde
Es kommt auf die Details an
Es gibt nicht das eine perfekte Haltungssystem für alle Pferde. Entscheidend ist die Passung zwischen den Bedürfnissen des individuellen Pferdes, den Möglichkeiten des Halters und der Qualität der Umsetzung.
Ein gut geführter Stall, der die Grundbedürfnisse nach Bewegung, Sozialkontakt und artgerechter Fütterung erfüllt, ist immer besser als ein theoretisch optimales System mit schlechter Umsetzung. Die Kunst liegt darin, für jedes Pferd das System zu finden, das unter den gegebenen Umständen die beste Lösung bietet.
Wichtiger als die ideologische Diskussion um das „richtige“ System ist die kontinuierliche Beobachtung und Anpassung: Fühlt sich das Pferd wohl? Ist es gesund und ausgeglichen? Werden seine natürlichen Bedürfnisse respektiert? Wer ehrlich auf diese Fragen antwortet und bereit ist, bei Bedarf Änderungen vorzunehmen, ist auf dem richtigen Weg – unabhängig vom gewählten Haltungssystem.
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