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Warum permanente Beweidung in unseren Breitengraden oft mehr schadet als nützt

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ganzjährige Weidehaltung klingt natürlich, führt aber in Mitteleuropa oft zu gestressten Weiden und kranken Pferden
  • Permanenter Beweidungsdruck verwandelt artenreiche Wiesen in wenigen Jahren zu toxischen Hochzuckergras-Monokulturen
  • Gestresste Gräser produzieren Endophyten und Fruktane als Abwehrmechanismus – beides hochgefährlich für Pferde
  • Kurz abgefressene Weiden sind besonders problematisch, da die Pflanzen in permanentem Überlebensmodus sind und sich gegen die Fressfeinde wehren
  • Echte Robusthaltung erfordert riesige Flächen, Weiderotation und professionelles Management
  • Die romantische Vorstellung von „Pferdehaltung wie in der Natur“ ignoriert die Realitäten moderner Landwirtschaft, Flächenverfügbarkeit und überzüchteter Gräser

Der Mythos der „natürlichen“ Ganzjahresweide

Die Vorstellung von Pferden, die das ganze Jahr lang frei auf grünen Wiesen grasen, entspricht unserem romantischen Ideal von Natur und Freiheit. Doch zwischen diesem Ideal und der Realität moderner Weidehaltung klafft eine gefährliche Lücke, die viele Pferdebesitzer und auch Stallbetreiber unterschätzen.

Was „natürlich“ wirklich bedeutete

In ihren natürlichen Lebensräumen leben Wildpferde auf riesigen Flächen mit karger Vegetation, in der Regel Tundren, Steppen oder Halbwüsten. Sie wandern täglich viele Kilometer, um energiearmes Steppengras, Kräuter oder andere pflanzliche Nahrung zu finden, und verbringen den größten Teil ihrer Zeit mit der Futter- und Wassersuche. Diese Landschaften sind nie üppig grün und saftig, sondern eher karg und abwechslungsreich.

Moderne Weideflächen Mitteleuropas haben mit diesen natürlichen Lebensräumen praktisch nichts gemein. Unsere Wiesen sind hochselektierte, überdüngte Flächen mit energiereichem Gras, das für Milchkühe optimiert wurde. Auch wenn die Wiese immer nur für Pferde genutzt und nie neu eingesät wurde, haben sich die Hochzuckergräser der modernen Landwirtschaft längst auf allen Flächen ausgebreitet. Diese „Turbogräser“ enthalten ein Vielfaches der Energie, die Pferde brauchen oder vertragen können.

Der Trugschluss der permanenten Verfügbarkeit saftiger Wiese

Wildpferde kennen keine permanent nahrhafte Futterqualität. Je nach Jahreszeit und Witterung ist zwar immer etwas essbares zu finden, aber nur selten saftig und nahrhaft (z.B. direkt nach der Regenzeit), meist hingegen faserreich, trocken und nährstoffarm. Diese natürlichen Schwankungen zwingen die Pferde zu einem sparsamen Stoffwechsel und verhindern die Entwicklung von Zivilisationskrankheiten.

Ganzjährige Weidehaltung auf deutschen Wiesen bedeutet dagegen permanente Verfügbarkeit energiereichster Nahrung. Das entspricht etwa der menschlichen Situation, täglich rund um die Uhr an einem Süßwarenbuffet zu leben – die gesundheitlichen Folgen sind programmiert.

Die Biologie gestresster Weiden

Um die Problematik der Ganzjahresweidehaltung zu verstehen, muss man die Reaktionen der Pflanzen auf permanenten Beweidungsdruck kennen. Gräser sind Überlebenskünstler, aber auch sie haben ihre Grenzen.

Wie Gräser auf Stress reagieren

Gräser reagieren auf Beweidungsdruck mit verschiedenen Überlebensstrategien. Moderate Beweidung kann sogar förderlich sein und die Bestockung anregen. Permanenter Druck führt jedoch zu Stressreaktionen, welche die Weideökologie nachhaltig verändern.

Wenn Gräser kontinuierlich kurz gehalten werden, aktivieren sie Notfallprogramme. Sie verlagern ihre Energie in die Wurzeln, um zu überleben, und produzieren gleichzeitig Abwehrstoffe gegen weitere Schäden. Diese Abwehrstoffe sind für Pferde hochproblematisch.

Der Teufelskreis der Überbeweidung

Viele Weidebetreiber glauben, sie täten ihren Pferden etwas Gutes, wenn sie die Weide „kurz und sauber“ halten. Das Gegenteil ist der Fall: Kurz abgefressene Weiden befinden sich in permanentem Überlebensmodus und produzieren die höchsten Konzentrationen an problematischen Inhaltsstoffen.

Je kürzer das Gras abgefressen wird, desto höher der Gehalt an Zucker, Fruktan und Endophytenbelastung. Pferde, die auf solchen Weiden stehen, leben praktisch auf einer Giftweide und entwickeln über kurz oder lang gesundheitliche Probleme.

Endophyten – die unsichtbare Gefahr Endophyten sind Pilze, die in Symbiose mit Gräsern leben und bei Stress toxische Alkaloide produzieren. Diese Stoffe sollen Fressfeinde abschrecken und funktionieren bei Pferden verheerend gut. Sie verursachen Durchblutungsstörungen, Lahmheiten, Fruchtbarkeitsprobleme und können Hufrehe und Aborte bei tragenden Stuten auslösen oder im schlimmsten Fall sogar tödlich sein. Besonders tückisch: Die Symptome entwickeln sich schleichend über Monate oder Jahre, sodass der Zusammenhang zur Weide oft nicht erkannt wird. Moderne Hochleistungsgräser sind besonders stark mit Endophyten belastet.

Fruktane: Süßes Gift auf der Weide

Ein weiteres massives Problem der Ganzjahresweidehaltung sind Fruktane – Zuckermoleküle, die Gräser als Energiespeicher produzieren. Diese Stoffe sind für Pferde hochgefährlich und können binnen Stunden zu lebensbedrohlichen Zuständen führen.

Fruktane entstehen immer dann, wenn Gräser Photosynthese betreiben (also Zucker herstellen) können, aber diese Energie nicht in Wachstum umsetzen können. Das passiert beispielsweise bei sonnigen Tagen und kühlen Nächten, aber auch bei Trockenheit oder eben bei permanentem Beweidungsdruck.

Besonders kritisch sind die Übergangsjahreszeiten: Wenn die Sonne scheint, aber die Nachttemperaturen noch niedrig sind, können sich die Fruktan-Werte innerhalb von Stunden vervielfachen. Pferde, die permanent auf der Weide stehen, sind diesen Schwankungen schutzlos ausgeliefert. Zusammen mit den im Herbst meist bis auf die Grasnarbe abgefressenen Gräsern entsteht eine toxische Kombination.

Die Hufrehe-Falle

Fruktane sind der Hauptauslöser für Hufrehe bei Weidepferden. Sie vergären im Dickdarm zu Milchsäure, was zu einer rasch erfolgenden Übersäuerung und nachfolgend zu toxischen Reaktionen führt. Die Giftstoffe schädigen die Huflederhaut und können zu irreversiblen Schäden führen.

Viele Pferdebesitzer verstehen nicht, warum ihr Pferd „plötzlich“ eine Hufrehe entwickelt, obwohl es doch schon seit 3 Jahren auf dieser Ganzjahresweide steht und bisher nie etwas passiert ist. Die Antwort liegt in der Kombination aus einer durch Dauerbeweidung zu stressresistenten Hochzuckergräsern verschobenen Pflanzengesellschaft, die dann in Kombination mit den Witterungsbedingungen zu den unsichtbaren Fruktanspitzen führt, welche die Hufrehe auslösen.

Der Wandel der Weidevegetation

Ganzjährige Beweidung verändert die Zusammensetzung der Weideflächen dramatisch. Was als artenreiche Wiese beginnt, entwickelt sich innerhalb weniger Jahre zu einer problematischen Monokultur.

Artenreiche Wiesen mit Kräutern, verschiedenen Gräsern und Leguminosen verschwinden unter permanentem Beweidungsdruck, da Kräuter und Magergräser wenig stressresistent sind. Übrig bleiben nur die widerstandsfähigsten und zugleich problematischsten Gräser: Deutsches Weidelgras, Wiesenlieschgras und andere Hochleistungssorten, zusammen mit unerwünschten Pionierpflanzen, welche sich in der gestörten Grasnarbe ansiedeln können. Dazu gehören beispielsweise das giftige Jakobskreuzkraut und die nicht weniger problematische Graukresse.

Da die Wiese keine Erholungszeiten hat, kommt es darüber hinaus zu fortschreitender Bodenverdichtung, welche Staunässe und weiteren unerwünschten Pflanzenarten wie Sauerampfer und Hahnenfuß Vorschub leistet.

Diese Entwicklung ist unumkehrbar, solange der Beweidungsdruck anhält. Einmal entstandene „Pferdewiesen“ sind biologische Wüsten mit maximaler Toxizität für die Tiere, die darauf leben sollen.

Warum „Golfrasen“ das Problem verschärft

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass kurz abgeweidete Flächen sicherer seien, weil „weniger da ist, was schaden könnte“. Das Gegenteil ist richtig: Kurze Gräser haben die höchsten Zucker- und Toxinkonzentrationen, weil sie sich im permanenten Überlebensmodus befinden.

Jeder Biss verstärkt den Stress der Pflanzen und treibt die Produktion von Abwehrstoffen weiter an. Jeder Huftritt zerstört empfindliche Kräuter und Magergräser und öffnet Lücken, wo Hochzuckergräser und andere unerwünschte Pflanzen Fuß fassen können. Pferde auf kurz abgeweideten Flächen leben praktisch auf einer konzentrierten Giftweide.

Die 2-3 Jahre Regel

Die meisten Ganzjahresweiden zeigen nach 2-3 Jahren die beschriebenen Probleme. Anfangs scheint alles gut zu laufen, weil die ursprüngliche Pflanzenvielfalt noch ausgleichend wirkt. Doch der kontinuierliche Selektionsdruck führt unweigerlich zur Dominanz problematischer Pflanzen.

Viele Betreiber erkennen den Zusammenhang nicht, weil die Pferde anfangs gesund erscheinen. Erst wenn die ersten Reheschübe auftreten oder andere Gesundheitsprobleme wie Koliken entstehen, wird die Weide als Ursache in Betracht gezogen – oft zu spät für Pferd und Weide.

Hufrehe als häufigste Folge von Ganzjahresweide

Hufrehe ist die bekannteste und sichtbarste Folge ganzjähriger Weidehaltung. Die durch Fruktane ausgelöste Entzündung der Huflederhaut kann von leichter Fühligkeit bis zu lebensbedrohlichen Zuständen reichen. Da die Hufrehe oft schleichend über Monate beginnt („dünne Sohle“, „empfindlich nach der Hufbearbeitung“, „läuft nicht gern auf hartem Boden“…), ist es oft schon zu spät, wenn dann der sichtbare Reheschub auftritt. Auf solche Weise geschädigte Hufe erholen sich oft nie wieder vollständig.

Besonders diese „subklinischen“ Reheschübe – leichte Entzündungen, die nicht sofort bemerkt werden, aber langfristig zu chronischen Hufproblemen führen sind tückisch. Viele Pferde leiden jahrelang unter wiederkehrender oder chronischer Fühligkeit, ohne dass die Ursache erkannt wird. Da sie immer auf der relativ weichen Weide laufen wird auch das Problem oft erst viel zu spät gesehen.

Stoffwechselentgleisungen

Die permanente Zuckerzufuhr über energiereiches Gras führt zudem in vielen Fällen zu Insulinresistenz und Equinen Metabolischen Syndrom (EMS). Betroffene Pferde entwickeln typische Lymph- oder Fetteinlagerungen, werden lethargisch und anfällig für weitere Stoffwechselprobleme, zu denen unter anderem wieder die Hufrehe gehört. Die Lebensqualität der Pferde sinkt erheblich, und das Risiko für Hufrehe-Schübe steigt dramatisch, die Gelenke und das Herz-Kreislauf-System werden überbelastet und die Leistung von Leber und Nieren nehmen ab, sodass immer häufiger diffuse Stoffwechselprobleme auftreten, vor allem während der Fellwechselzeiten.

Endophyten-Vergiftungen

Die Symptome chronischer Endophyten-Vergiftung sind vielfältig und oft unspezifisch: Leistungsschwäche, Lahmheiten wechselnder Lokalisation, Fruchtbarkeitsstörungen bei Stuten, erhöhte Infektanfälligkeit und Verhaltsänderungen können dazugehören, aber auch subklinische Hufrehe oder Anzeichen für Leber- und Nierenüberlastung.

Da diese Symptome schleichend auftreten und vielfältig sind, werden sie selten mit der Weide in Verbindung gebracht. Viele Pferde werden jahrelang wegen verschiedener „Baustellen“ behandelt, ohne dass die eigentliche Ursache erkannt wird.

Die meisten Ganzjahresweiden in unseren Breitengraden sind keine natürlichen Weidegründe – sie sind eine Giftküche für Pferde.

Wann Ganzjahresweide funktionieren kann

Trotz aller Probleme gibt es Situationen, in denen Ganzjahresweidehaltung erfolgreich praktiziert werden kann. Allerdings sind die Voraussetzungen so anspruchsvoll, dass sie nur selten erfüllt werden.

Riesige Flächen als Grundvoraussetzung

Echte Robusthaltung erfordert mindestens 2-3 Hektar pro Pferd, besser mehr. Nur bei dieser geringen Besatzdichte kann sich die Vegetation erholen und bleibt artenreich. Kleine „Ganzjahresweiden“ von einem halben Hektar pro Pferd sind zum Scheitern verurteilt.

Große Flächen ermöglichen eine ständige Wechselbeweidung, bei der die Flächen häufig gewechselt werden und problematische Bereiche (wie Senken, in denen der Boden im Winter aufweichen kann) ausgezäunt werden können. Im optimalen Fall stehen genügend Flächen zur Verfügung, dass die Pferde immer nur relativ kurz auf einer Fläche bleiben und dann auf die nächste umgetrieben werden, ohne dass eine Fläche im Winterhalbjahr zweimal beweidet wird, sodass alle Flächen ausreichend Ruhezeiten bekommen

Magere Standorte bevorzugen

Erfolgreiche Ganzjahresweiden liegen meist auf mageren, nährstoffarmen Böden. Sandige Heideflächen oder Hanglagen mit geringer Produktivität sind geeigneter als fette Marschböden oder gedüngte Wiesen.

Magere Standorte produzieren energieärmeres Gras mit geringeren Zucker- und Fruktan-Gehalten und bieten meist auch einen schlechten Lebensraum für Hochzuckergräser, sodass die Verdrängung der Magersorten verlangsamt wird. Allerdings sind solche Flächen selten und oft nicht verfügbar oder erschwinglich. Darüber hinaus muss man eher noch mehr Fläche pro Pferd einplanen, je magerer der Standort ist, damit sie genügend Futter finden. Alternativ muss man den ganzen Winter über zufüttern – und dann kann man die Pferde gleich in einen Offenstall oder einen Paddock Trail Stall stellen, wo der Aufwand für die Fütterung deutlich geringer ist.

Professionelles Weidemanagement

Erfolgreiche Weidehaltung erfordert professionelles Management durch erfahrene Fachkräfte. Regelmäßige Bodenanalysen, Überwachung der Pflanzenbestände, Anpassung der Besatzdichte und gezielte Pflegemaßnahmen und Nachsaat sind unerlässlich. Die Ganzjahresweide ist also alles andere als „bequem“ – der verringerte Arbeitsaufwand für das Abmisten wird aufgewogen durch erhöhte Kosten für Zäune, Saatgut, Analysen und Wiesenpflege. Dadurch kann eine Ganzjahresweide schnell aufwendiger und teurer werden als ein durchdachtes Offenstallkonzept mit Sommerweide.

Auch die Pferde müssen sorgfältig ausgewählt werden: Nur robuste, stoffwechselgesunde Tiere ohne Vorerkrankungen kommen für echte Ganzjahresweidehaltung in Frage. Moderne Warmblüter oder bereits gesundheitlich vorgeschädigte Pferde sind ungeeignet. Darüber hinaus muss der Besitzer auch damit rechnen, dass sein Pferd regelrecht „verwildert“ bei so einer Haltung und der Tag kommen kann, wo er sein Pferd nur noch selten oder gar nicht mehr einfangen kann zum Reiten.

Pferd steht auf einer Löwenzahnwiese, Close-up
Weidehaltung klingt erstmal sehr viel versprechend, bringt aber andere Herausforderungen mit sich © Adobe Stock / shymar27

Regional unterschiedliche Probleme

Die Problematik der Ganzjahresweidehaltung ist nicht überall gleich ausgeprägt. Klimatische und standörtliche Unterschiede führen zu verschiedenen Herausforderungen.

Deutschland: Zu fett, zu feucht, zu intensiv

Deutsche Grünlandstandorte sind üblicherweise durch jahrzehntelange intensive Landwirtschaft geprägt. Hohe Niederschläge, fruchtbare Böden und starke Düngung haben über die letzten 50 Jahre zu extrem produktiven Flächen geführt, die für Pferde ungeeignet sind.

Die feuchten Winter verstärken die Probleme noch: Matsch und Trittschäden führen zu Stress bei Pflanzen und Pferden. Gleichzeitig können sich unerwünschte Pflanzen bei den milden, feuchten Bedingungen explosionsartig vermehren und die Weiden innerhalb weniger Monate für Pferde unbrauchbar machen – ein Prozess, der dann viel Zeit, Geld und Mühe kostet, um die Weide wieder zu normalisieren.

England: Tradition mit Problemen

In England ist Ganzjahresweidehaltung traditionell verbreitet, führt aber zu ähnlichen Problemen. Die hohe Luftfeuchtigkeit und milden Winter schaffen ideale Bedingungen für Endophyten-belastete Gräser. Dadurch sind die Wiesen viel zu reich an Zucker, Fruktan und Endophyten. Lässt man die dort beliebten „Winterweiden“ im Sommer mal hochwachsen, dann sieht man, dass sie oft ausschließlich aus Weidelgras bestehen – genau der Gräsersorte, die man auf Pferdeweiden nicht haben möchte.

Der in vielen Gegenden Großbritanniens verbreitete Lehmboden sorgt dafür, dass viele Ställe keine Paddockhaltung im Winter anbieten wollen, weil diese sich innerhalb kürzester Zeit in zähen Matsch verwandeln, in welchem Hufeisen steckenbleiben oder die Pferde ausrutschen und sich verletzen können. Hier muss mit sinnvollen Bodenkonzepten gearbeitet werden, um Ausläufe für Pferde zu schaffen.

Dazu gehören Trail-Systeme, bei denen weniger Fläche befestigt werden muss als bei rechteckigen Ausläufen. Paddockmatten, Kies oder die Befestigung von Hanglagen mit quer gelegten und verankerten Baumstämmen bieten eine Menge Möglichkeiten, auch mit solchen schwierigen Böden ein sinnvolles „Draußen“-Konzept umzusetzen, ohne dass die Pferde auf die Weide gestellt werden müssen. Das ist zwar eine beträchtliche Investition, zahlt sich aber langfristig durch deutlich geringere Tierarztkosten und höhere Lebensqualität für die Pferde aus.

Viele englische Pferde leiden aufgrund des ganzjährigen Weidezugangs unter chronischen Gesundheitsproblemen, die mit der intensiven, ganzjährigen Weidenutzung und der damit einhergehenden Verschiebung der Weideökologie zusammenhängen.

Mediterrane Gebiete: Andere Herausforderungen

In trockeneren Klimazonen sind die Probleme anders gelagert, aber nicht geringer. Wassermangel führt zu anderem Pflanzenstress, und die starken Tag-Nacht-Temperaturschwankungen können zu extremen Fruktan-Spitzen führen.  Zudem sind mediterrane Pflanzengesellschaften oft nicht an intensive Beweidung angepasst und reagieren mit Erosion und Desertifikation. Eine Ganzjahresweidehaltung ist entsprechend für die meisten Ställe gar nicht möglich.

Aufgrund der kargen Vegetation nutzen Aufzucht-Ställe in mediterranen Regionen häufig gigantische Flächen, auf denen sich die Jungpferde die ersten drei Jahre praktisch wild aufhalten, damit überhaupt genügend Futter zur Verfügung steht. Das funktioniert gut mit Jungpferden, die nicht täglich geritten werden sollen – aber spätestens mit dem Trainingsbeginn werden sie meist aufgestallt. In vielen mediterranen Gebieten ist die Boxenhaltung 23h täglich noch immer üblich. Aber auch hier kann und sollte man umdenken: hin zu Offenstall- oder Paddock-Trail-Konzepten, die sinnvoller und artgerechter sind.

Alternativen zur Ganzjahresweide

Anstatt an der problematischen Ganzjahresweidehaltung festzuhalten, gibt es bessere Alternativen, die sowohl den Pferden als auch der Umwelt gerecht werden.

Saisonale Weidehaltung

Der vernünftigste Ansatz ist oft die saisonale Nutzung der Weiden. Im Sommer, wenn die Gräser aktiv wachsen und sich regenerieren können, ist Weidehaltung meist unproblematisch. Ab Anfang Oktober gehören die Pferde in unseren Breitengraden auf befestigte Flächen mit Zufütterung.

Diese Praxis schont die Vegetation, reduziert die Gesundheitsrisiken für die Pferde und ist wirtschaftlich oft sinnvoller als die Reparatur überweideter Flächen.

Portionsweide als Kompromiss

Bei der Portionsweidehaltung werden kleine Weideparzellen für begrenzte Zeit freigegeben und dann wieder gesperrt. Keine Weidezelle wird mehr als einmal im Winter genutzt. Diese Technik ermöglicht eine bessere Regeneration der Vegetation und reduziert die Belastung durch Vertritt und Verbiss. Allerdings erfordert eine solche Portionsweide mehr Management, viel Zaunmaterial und funktioniert nur bei ausreichend großen Gesamtflächen. Kleine Weiden können auch bei Rotation schnell überlastet werden, wenn die Pferde immer wieder auf dieselben Flächen kommen, ohne dass die Pflanzen zwischendurch eine echte Wachstumsperiode zur Erholung hatten.

Offenstall mit kontrollierter Weide

Die Kombination aus ganzjährigem Offenstall und kontrolliertem, zeitlich begrenztem Weidegang in der Vegetationsperiode bietet oft die beste Lösung. Die Pferde haben permanent Bewegungsfreiheit und Sozialkontakt, sind aber vor den Risiken unkontrollierter Weidehaltung geschützt.

Wirtschaftliche Realitäten

Die versteckten Kosten

Ganzjahresweidehaltung erscheint zunächst kostengünstig, da keine Stallbauten und vermeintlich kein oder wenig Futter nötig sind. Die versteckten Kosten sind jedoch erheblich: Tierarztkosten für weidebedingten Krankheiten, Kosten für Weidesanierung und der Wertverlust kranker Pferde.

Flächenverbrauch und Umwelt

Echte Robusthaltung mit 2-3 Hektar pro Pferd ist flächenintensiv und in dicht besiedelten Gebieten nicht umsetzbar. Intensive Ganzjahresweidehaltung auf kleinen Flächen führt dagegen zu Umweltproblemen: Erosion, Nährstoffeinträge in Gewässer und Verlust der Artenvielfalt.

Fazit: Romantik vs. Realität

Ganzjährige Weidehaltung ist ein klassisches Beispiel dafür, wie romantische Vorstellungen von „Natürlichkeit“ zu tierschutzrelevanten Problemen führen können. Was gut gemeint ist, wird schnell zum Alptraum für die Pferde.

Die Realität moderner Landwirtschaft mit ihren überzüchteten Gräsern, überdüngten Böden und intensiver Flächennutzung macht echte Robusthaltung praktisch unmöglich. Kleine Ganzjahresweiden sind Zeitbomben, die früher oder später zu kranken Pferden führen.

Wer seinen Pferden wirklich Gutes tun möchte, sollte auf saisonale Weidehaltung mit professionellem Management setzen. Im Zweifel ist ein gut geführter Offenstall mit kontrolliertem Weidegang gesünder für die Pferde als eine schlecht gemanagte Ganzjahresweide.

Die Natur ist nicht immer das, was wir uns unter „natürlich“ vorstellen. Manchmal ist der bewusste Verzicht auf vermeintlich natürliche Haltung der bessere Weg zu gesunden, glücklichen Pferden. Echte Tierliebe bedeutet auch, unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren und das Wohl der Tiere über romantische Vorstellungen zu stellen.

Team Sanoanimal