Wie falsche Haltung zu Krankheiten führt und warum viele Probleme hausgemacht sind
Das Wichtigste in Kürze:
- Etwa 70% aller Pferdeerkrankungen haben ihre Ursache in ungeeigneten Haltungsbedingungen oder entstehen dadurch
- Stereotypien wie Weben, Koppen und Boxenlaufen, ebenso wie „Narkolepsie“ sind deutliche Warnsignale für psychischen Stress und unerfüllte Grundbedürfnisse
- Bewegungsmangel führt zu Koliken, Muskelatrophie und Kreislaufproblemen – oft mit lebensbedrohlichen Folgen
- Schlechte Stallluft und staubige Einstreu verursachen chronische Atemwegserkrankungen, die die Lebenserwartung drastisch reduzieren
- Soziale Isolation und unnatürliche Fütterung sind Hauptauslöser für Verhaltensstörungen und Magengeschwüre
- Unpassende oder zu große Gruppen, de-sozialisierte Pferde, zu enge Ausläufe oder Liegebereiche gehören zu den Hauptursachen für Gesundheitsprobleme durch Offenstallhaltung
- Früherkennung und konsequente Haltungsverbesserung können die meisten Probleme verhindern oder heilen
Der unsichtbare Zusammenhang: Haltung und Gesundheit
Die meisten Pferdebesitzer denken bei Krankheiten an Infekte, Verletzungen oder genetische Dispositionen wie PSSM. Dass die Art der Haltung selbst zur Krankheitsursache werden kann, wird oft übersehen oder verdrängt. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Haltungsbedingungen und Gesundheitsproblemen wissenschaftlich eindeutig belegt.
Warum Haltung krank macht
Pferde sind über Millionen Jahre an ein Leben in Bewegung, in der Herde, bei kontinuierlicher Futteraufnahme angepasst. Moderne Haltungsformen stellen diese natürlichen Bedürfnisse oft auf den Kopf: Stillstand statt Bewegung, Isolation statt Gemeinschaft, Mahlzeiten statt Dauerfütterung.
Der Körper reagiert auf diese unnatürlichen Bedingungen zunächst mit Anpassungsversuchen. Hormone werden ausgeschüttet, Stoffwechselprozesse verändert, Verhalten angepasst. Doch wenn der Stress chronisch wird und die Grundbedürfnisse dauerhaft unerfüllt bleiben, kippt das System: Aus Anpassung wird Krankheit.
Besonders tückisch ist, dass viele haltungsbedingte Probleme schleichend entstehen. Monate oder Jahre vergehen, bis aus gestresstem Verhalten manifeste Krankheit wird. Der ursprüngliche Zusammenhang zur Haltung ist dann oft nicht mehr erkennbar oder wird nicht hergestellt.
Die Kosten falscher Haltung
Die wirtschaftlichen Kosten haltungsbedingter Erkrankungen sind enorm. Pferde aus problematischen Haltungssystemen können schnell doppelt so hohe Tierarztkosten oder mehr verursachen wie artgerecht gehaltene Tiere. Rechnet man die reduzierten Nutzungsmöglichkeiten, verkürzte Lebenserwartung, Kosten für Spezialfutter oder -ausrüstung (z.B. Ekzemer-Decken oder orthopädische Beschläge) und den Wertverlust dazu, wird die Dimension noch deutlicher.
Doch die emotionalen Kosten sind noch höher: Das Leid der Tiere, die Hilflosigkeit der Besitzer und die oft jahrelangen Behandlungsversuche belasten alle Beteiligten. Viele Probleme ließen sich durch bessere Haltung komplett vermeiden.
Stereotypien: Wenn die Seele nach Hilfe schreit
Stereotypien sind wiederkehrende, zwecklose Bewegungen oder Verhaltensweisen, die bei Pferden unter schlechten Haltungsbedingungen häufig auftreten. Sie sind mehr als nur „schlechte Angewohnheiten“ – sie sind deutliche Warnsignale für psychischen Stress und unerfüllte Grundbedürfnisse.
Weben
Weben ist eine seitliche Gewichtsverlagerung von einem Vorderbein auf das andere, oft begleitet von pendelnden Kopfbewegungen. Betroffene Pferde stehen meist an der Boxentür oder am Zaun und „schwanken“ stundenlang hin und her. Diese Verhaltensstörung entsteht fast ausschließlich bei Pferden mit extremem Bewegungsmangel. Das Weben ist der verzweifelte Versuch des Körpers, das dringende Bedürfnis nach Bewegung zu befriedigen. Gleichzeitig dient es als Ventil für angestauten Stress und Frustration.
Weben führt zu einseitiger Belastung der Gelenke und kann Arthrosen fördern. Viele Weber entwickeln außerdem Herzprobleme, da die konstante Anspannung das Herz-Kreislauf-System überlastet. Die Lebenserwartung kann sich deutlich verkürzen.
Koppen
Beim Koppen setzt das Pferd die oberen Schneidezähne auf eine Kante auf, spannt die Halsmuskulatur an und schluckt Luft. Dieses Verhalten kann zwanghaft werden und stundenlang anhalten. Koppen entsteht meist durch eine Kombination aus Stress, Langeweile und Frustration. Lange Raufutterpausen und energiereiches Kraftfutter verstärken das Problem.
Die mechanische Belastung der Zähne beim Koppen führt zu abnormaler Abnutzung und Zahnproblemen. Manche Pferde koppen sich die Schneidezähne komplett ab, was die Futteraufnahme erschwert. Magengeschwüre und Koliken sind häufige Begleiterkrankungen bei koppenden Pferden.
Boxenlaufen
Boxenlaufende Pferde bewegen sich rastlos in immer gleichen Bahnen durch ihre Box oder den Paddock. Diese endlose Wanderung ist der Versuch, das natürliche Bedürfnis nach Ortsveränderung zu befriedigen.
Boxenläufer sind meist hochintelligente, sensible Pferde, die unter der räumlichen Enge besonders leiden. Das ständige Laufen führt zu einseitigen Belastungen und kann Gelenk-, Sehnen- und Bänderschäden verursachen. Gleichzeitig verstärkt sich die Unruhe durch das Verhalten selbst.
Warum Stereotypien „ansteckend“ sind
Stereotypien können sich in Stallgemeinschaften ausbreiten, obwohl sie nicht wirklich „ansteckend“ sind. Pferde lernen durch Beobachtung und kopieren Verhaltensweisen ihrer Nachbarn. Wenn ein Pferd anfängt zu weben, beginnen oft auch die Boxennachbarn damit. Das zeigt, wie sehr Pferde unter ähnlichen Bedingungen ähnlich reagieren und wie wichtig das soziale Lernen ist. Entscheidend ist: Stereotypien entstehen nur dort als Verhaltensventil, wo die Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind. Besteht kein Grund für stereotype Verhaltensweisen, dann schaut sich der Rest der Gruppe dieses Verhalten auch nicht ab – selbst wenn das eine Pferd weiter koppt oder webt, weil es aus seiner Verhaltensschleife nicht mehr ganz rauskommt.
Pferde stehen sich krank
Bewegungsmangel ist einer der größten Krankmacher in der modernen Pferdehaltung. Die Folgen sind vielfältig und oft lebensbedrohlich, entwickeln sich aber schleichend über Monate oder Jahre.
Das Herz-Kreislauf-System leidet zuerst
Pferde haben ein extrem leistungsfähiges Herz-Kreislauf-System, das aber regelmäßiges Training braucht. Bewegungsmangel führt zu Muskelschwund des Herzmuskels, reduzierter Pumpleistung und schlechterer Durchblutung aller Organe.
Betroffene Pferde ermüden schnell, auch bei geringer Belastung. Ihre Erholungszeit nach Anstrengung verlängert sich dramatisch. Im Extremfall kann schon das Antraben zu Kreislaufproblemen führen.
Die reduzierten Herzleistung hat Folgen für den ganzen Körper: Schlechtere Wundheilung, erhöhte Infektanfälligkeit und reduzierte Belastbarkeit sind die Regel. Viele Pferde aus reiner Boxenhaltung sind bereits mit zehn Jahren körperlich „alt“ und müssen oft aus der aktiven Nutzung ausscheiden.
Verdauung gerät aus dem Takt
Das Verdauungssystem ist auf ständige, moderate Bewegung angewiesen. Die natürlichen Rumpfbewegungen beim Laufen massieren die Bauchorgane und fördern den Transport des Darminhalts. Ohne diese „interne Massage“ verlangsamt sich die Verdauung, was bei der Länge des Verdauungstrakts schnell problematisch werden kann.
Koliken sind bei bewegungsarmen Pferden im Schnitt dreimal häufiger als bei Pferden mit ausreichender Bewegung. Besonders Verstopfungskoliken und Gaskoliken entstehen durch verlangsamte Darmtätigkeit.
Auch die Leber leidet unter Bewegungsmangel. Ihre Entgiftungsfunktion verschlechtert sich, und Fetteinlagerungen können entstehen. Dies macht die Pferde wiederum anfälliger für andere Krankheiten und reduziert ihre Regenerationsfähigkeit.
Muskeln schwinden, Gelenke versteifen
„Wer rastet, der rostet“ gilt besonders für die Muskulatur und Gelenke von Pferden. Bereits nach wenigen Wochen ohne angemessene Bewegung beginnt der Muskelabbau. Besonders betroffen sind die Halte- und Stützmuskulatur, die für eine gesunde Körperhaltung essentiell ist.
Schwache Muskeln führen zu Fehlhaltungen und Überlastungen anderer Strukturen. Rückenprobleme, Sehnenschäden und Gelenkarthrose sind häufige Folgen. Paradoxerweise führt Bewegungsmangel zu mehr Verletzungen, nicht zu weniger – das sollte man vor allem bei den häufig in Boxen aufgestallten Sportpferden bedenken, die nicht selten schon im Alter von acht bis zehn Jahren aus dem Sport ausscheiden aufgrund nicht mehr therapierbarer Lahmheitsprobleme.
Die Gelenke benötigen Bewegung zur Produktion von Gelenkflüssigkeit. Ohne diese „Schmierung“ versteifen sie und der Knorpel wird schlechter versorgt. Arthrose kann schon bei jungen Pferden entstehen, wenn sie zu wenig Bewegung bekommen!
Atemwegserkrankungen auf dem Vormarsch
Atemwegserkrankungen gehören zu den häufigsten haltungsbedingten Problemen und können die Lebensqualität drastisch einschränken. Die meisten entstehen durch schlechte Stallluft und staubige Einstreu.
Equines Asthma als Endstadium
Die chronisch obstruktive Bronchitis (COB / COPD), umgangssprachlich oft „Heustauballergie“ genannt, führt langfristig meist zu Equinem Asthma, dem Endstadium chronischer Atemwegsreizungen. Betroffene Pferde haben dauerhaft verengte Bronchien und leiden unter chronischem Husten und Atemnot.
Diese Krankheit entsteht fast ausschließlich durch schlechte Haltungsbedingungen. Eine Kombination aus schimmeligem, staubendem Heu, ammoniakbelasteter Stallluft, mangelnder Belüftung, wenn im Winter alle Fenster geschlossen werden, damit die Tränken nicht einfrieren, zusammen mit falscher Fütterung, unpassenden Medikamente und/oder dauerhaftem Stress sind meist die Ursachen der Atemwegsproblematik.
Pferde mit Chronischem Husten oder Equinem Asthma können nur noch leicht gearbeitet werden und brauchen lebenslange medizinische Betreuung. Ihre Lebenserwartung verkürzt sich um Jahre, und die Lebensqualität ist stark eingeschränkt, wenn man nicht dringend etwas an den Ursachen ändert. Oft wird erst über eine Änderung der Haltungsform – weg vom geschlossenen Stall, hin zu mehr Frischluft und Freiheit – nachgedacht, wenn die Atemwege schon nachhaltig geschädigt sind.
Schimmelsporenallergie
Viele Pferde entwickeln Allergien gegen Bestandteile von Heu und Stroh, besonders gegen Schimmelpilzsporen. Diese Allergien entstehen meist durch die Kombination aus staubigem Futter und schlechter Stallluft in Kombination mit mangelnder Bewegung und gestörter Verdauung – denn Lunge- und Dickdarmgesundheit hängen eng zusammen.
Betroffene Pferde zeigen chronischen Husten und reduzierte Leistungsfähigkeit, sobald trockenes oder angefeuchtetes Heu gefüttert wird. Die Symptome bessern deutlich, wenn man ordentlich bedampftes Heu füttert. Unbehandelt können diese Allergien recht schnell zum Equinen Asthma führen. Frühe Diagnose, konsequente Staubvermeidung, zusammen mit grundlegenden Änderungen in der Haltung und Fütterung können das oft verhindern.
Ammoniak: Das unsichtbare Gift
Ammoniakbelastung in Ställen entsteht durch die Zersetzung von Harnstoff aus Urin bzw. Eiweißen im Kot in der Einstreu durch darauf spezialisierte Mikroorganismen. Der flüchtige Ammoniak, der sich vor allem bodennah in der Luft anreichert, reizt die Schleimhäute der Atemwege und kann zu chronischen Entzündungen führen.
Besonders problematisch ist, dass Menschen Ammoniak erst bei viel höheren Konzentrationen wahrnehmen als Pferde. Was für uns noch „normal“ riecht, kann für das Pferd bereits gesundheitsschädlich sein. Es hilft oft, sich in der ungemisteten Mox mal für eine halbe Stunde auf den Boden zu setzen – um mit seinen Atemwegen dort zu sein, wo das Pferd beim Heufressen oder Einstreu-Durchsuchen einen großen Teil seiner Atemluft aufnimmt. Oft dauert es nicht lange und man kann spüren, wie die eigenen Atemwege und Schleimhäute reagieren – man möchte sofort raus aus der Box!
Chronische Ammoniakbelastung schwächt nicht nur die Atemwegsschleimhäute, sondern auch das Immunsystem und macht die Pferde anfälliger für Atemwegsinfekte, die dann wieder chronisches Husten nach sich ziehen. Auch die Augen können betroffen sein und chronische Bindehautentzündungen und tränende Augen entwickeln.

Soziale Isolation ist Stress für das Pferd
Pferde sind Herdentiere, und soziale Isolation widerspricht ihrer Natur fundamental. Die Folgen reichen von Verhaltensstörungen bis zu körperlichen Erkrankungen.
Magengeschwüre durch Stress
Chronischer Stress durch soziale Isolation ist ein Hauptauslöser für Magengeschwüre bei Pferden. Der Stress durch den fehlenden Sozialkontakt führt zu einem schwindenden Schutz der Magenwand vor den Magensäuren. Die Säure greift die ungeschützte Magenschleimhaut an und verursacht schmerzhafte Entzündungen und Geschwüre.
Betroffene Pferde zeigen oft unspezifische Symptome: Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Verhaltensänderungen oder Kolikneigung. Ohne Behandlung können die Geschwüre zu lebensbedrohlichen Magenperforationen führen.
Immunschwäche durch Dauerstress
Dauerstress führt zu erhöhten Cortisolspiegeln, die die Immunabwehr unterdrücken. Chronischer Stress durch soziale Isolation schwächt das Immunsystem damit erheblich. Betroffene Pferde werden häufiger krank, Wunden und Verletzungen heilen schlechter und diese Pferde sind anfälliger für Parasiten. Viele scheinbar „anfällige“ Pferde sind in Wirklichkeit einfach gestresst durch schlechte Haltungsbedingungen. Eine Verbesserung der sozialen Situation kann wahre Wunder bewirken.
Fütterungsbedingte Erkrankungen
Falsche Fütterung ist ein weiterer wichtiger Faktor für haltungsbedingte Erkrankungen. Fresspausen, Fütterung über Raufutterautomaten oder automatische Heuraufen, nicht artgerechtes Futter oder zu wenige Fressplätze können schwerwiegende Folgen haben.
Schlundverstopfung oder Kolik durch hastiges Fressen
Pferde, die nach langen Fresspausen hastig fressen, können eine Schlundverstopfung oder auch zeitverzögert Koliken entwickeln. Bei Schlundverstopfung bleibt der schlecht gekaute Futterbolus im „Hals“ (also in der Speiseröhre) stecken und kann nicht weiter transportiert werden. Diese Notfälle entstehen meist durch falsche Fütterungsroutinen: Zu große Portionen nach zu langen Pausen führen zu gierigem Schlingen. Besonders Kraftfutter, Äpfel, Karotten oder trockenes Brot sind problematisch, wenn sie nach einer erzwungenen Futterpause gegeben werden, wie sie z.B. bei Mahlzeitenfütterung auftreten. Schlundverstopfungen sind lebensbedrohlich und erfordern sofortige tierärztliche Hilfe. Vorbeugen lässt sich durch häufige, kleine Futtergaben und ausreichend Raufutter.
Die zunehmende Automatisierung im Pferdestall hat auch Kehrseiten mit sich gebracht: Raufutterautomaten oder automatisch schließende Raufen. Sie werden häufig genutzt, um die Futteraufnahme insgesamt zu reduzieren, indem die Pferde gezwungen werden, Fresspausen einzulegen. Studien zeigen jedoch, dass solche Systeme zu einem deutlich erhöhten Stresslevel, vermehrter Aggression und hastigem Schlingen des Futters führen, wenn das Pferd dann wieder ans Heu darf. Dadurch wird nicht nur mehr Futter in 24h aufgenommen als bei durchgehender Fütterung, sondern das schlecht gekaute Heu kann im Darm schlecht verdaut werden und Koliken verursachen.
Ist der Verdauungstrakt erst einmal durch ein anhaltend falsches Fütterungsmanagement gestört, ist die Therapie oft langwierig und teuer. Daher sollte man frühzeitig reagieren, wenn das Stallmanagement nicht pferdegerecht ist.
Die Kunst des Hinschauens
Viele haltungsbedingte Probleme lassen sich früh erkennen und behandeln, bevor manifeste Krankheiten entstehen. Entscheidend ist die Aufmerksamkeit für subtile Veränderungen im Verhalten und Aussehen.
Pferde zeigen Stress und Unwohlsein oft durch Verhaltensänderungen, lange bevor körperliche Symptome auftreten. Reduzierte Fresslust, Teilnahmslosigkeit oder Aggressivität können erste Hinweise sein. Kommt es beispielsweise zu Auseinandersetzungen zwischen den Pferden, wenn die Raufen nachgefüllt werden, dann hat die Gruppe zu wenig Heu bzw. Fresspausen und damit Stress.
Auch Veränderungen in der sozialen Interaktion sind wichtig: Zieht sich ein normalerweise geselliges Pferd zurück oder wird ein ruhiges Pferd plötzlich unruhig (oder ein temperamentvolles Pferd überraschend „zahm“), sollte nach den Ursachen gesucht werden.
Besonders aufmerksam sollte man bei der Entwicklung von Stereotypien sein. Diese entstehen nicht über Nacht, sondern entwickeln sich langsam. Frühe Intervention und Veränderung der Haltung kann oft noch helfen, die Ausprägung dieser Verhaltensweise zu verhindern.
Körperliche Anzeichen richtig deuten
Auch körperliche Veränderungen können frühe Warnsignale sein. Häufiges Gähnen, verändertes Fressverhalten, Gurtenzwang und vieles mehr kann auf Magenprobleme hindeuten. Vermehrtes Liegen deutet auf Gelenkprobleme oder beginnende Hufrehe hin. Kreisrunde Wunden vorne an den Fesselköpfen oder Karpalgelenken deuten auf „Narkolepsie“ hin, also Schlafmangel. Veränderungen in der Körperhaltung wie das Unterstellen der Gliedmaßen unter den Körper zeigen oft Schmerzen Unwohlsein an.
Dokumentation und Verlaufskontrolle
Ein Haltungstagebuch kann helfen, Zusammenhänge zwischen Haltungsbedingungen und Gesundheitsproblemen zu erkennen. Wetteränderungen, Futterwechsel oder Veränderungen in der Gruppe sollten notiert werden. Regelmäßige Fotos oder die Nutzung der kostenlosen Sanoanimal App können helfen, schleichende Veränderungen in der Körperkondition oder Haltung zu dokumentieren. Was täglich gesehen wird, fällt oft nicht auf – Fotos machen Veränderungen sichtbar.
Vorbeugen ist besser als heilen
Die beste Behandlung haltungsbedingter Erkrankungen ist ihre Vermeidung. Präventive Maßnahmen sind oft einfacher und kostengünstiger als spätere Behandlungen.
Ausreichende Bewegung, angemessener Sozialkontakt und artgerechte Fütterung sind die Grundpfeiler gesunder Haltung. Werden diese Bedürfnisse erfüllt, entstehen die meisten haltungsbedingten Probleme gar nicht erst. Mindestens 6-8 (besser 12) Stunden freie Bewegung täglich sollten möglich sein. Sozialkontakt zu Artgenossen ist unverzichtbar, auch wenn es nur Sichtkontakt ist. Die Fütterung sollte sich an natürlichen Rhythmen orientieren: durchgehender Zugang zu gutem Heu, im Sommer nach Möglichkeit Weidegang und Zufütterung nur in kleinen Mengen und abhängig von den individuellen Bedürfnissen.
Gute Stallluft ohne Ammoniak und Staub ist essentiell für die Atemwegsgesundheit. Ausreichende Belüftung ohne Zugluft, staubarme Einstreu und qualitativ einwandfreies Heu sind Grundvoraussetzungen und nicht verhandelbar. Die Stallgestaltung sollte Verletzungen vermeiden und Komfort bieten. Scharfe Kanten, rutschige Böden oder zu enge Räume sind Risikofaktoren, die beseitigt werden müssen.
Regelmäßige Kontrollen
Tägliche Beobachtung und regelmäßige Gesundheitschecks helfen, Probleme früh zu erkennen. Gewicht, Kondition und Verhalten sollten in einem Tagebuch dokumentiert werden, vor allem wenn man das Gefühl hat, dass die Haltung nicht ganz optimal ist. Auch professionelle Kontrollen durch Zahnarzt, Hufbearbeiter und ggf. Ernährungsberater oder Manualtherapeuten sollten regelmäßig stattfinden. Viele Probleme werden erst von geschulten Augen erkannt.
Heilung durch Haltungsverbesserung
Viele haltungsbedingte Erkrankungen können durch konsequente Verbesserung der Haltungsbedingungen geheilt oder zumindest gebessert werden.
Entgegen landläufiger Meinung bessern sich stereotype Verhaltensweisen oft deutlich, wenn die auslösenden Faktoren beseitigt werden. Ausreichende Bewegung, Beschäftigung und Sozialkontakt können das zwanghafte Verhalten reduzieren oder beseitigen. Wichtig ist Geduld: Stereotypien, die über Jahre entstanden sind, verschwinden nicht über Nacht. Oft dauert es Monate, bis das Pferd in seiner neuen Haltungsform „angekommen“ ist und sich deutliche Verbesserungen zeigen.
Chronische Atemwegserkrankungen können sich in den meisten Fällen deutlich bessern und verschwinden sogar bei einigen Pferden vollständig, sofern man früh genug eingreift. Offenstall oder zumindest Paddockbox, wo das Pferd an frischer Luft sein Raufutter fressen kann, können hier schon Wunder wirken. Bedampftes Heu und eine gezielte Therapie der Atemwege sind dann meist der zusätzliche Baustein, der die Genesung voranbringt. Selbst viele Pferde mit Equinem Asthma können sich bei optimalen Bedingungen wieder deutlich verbessern und eingeschränkt geritten werden. Entscheidend ist die konsequente Vermeidung aller Reizstoffe und der schonende Trainingsaufbau.
Magengeschwüre heilen oft überraschend schnell, wenn die Stressursachen beseitigt werden. Sozialkontakt, ständiger Zugang zu gutem Heu und Stressreduktion durch optimierte Haltung können binnen Wochen zu deutlicher Besserung führen. Eine medikamentöse Behandlung sollte immer von Haltungsverbesserungen begleitet werden. Ohne Ursachenbekämpfung kehren die Probleme schnell zurück.
Haltung als Medizin
Die Erkenntnis, dass Haltung krank machen kann, ist schmerzhaft aber wichtig. Noch wichtiger ist die Erkenntnis, dass bessere Haltung heilen kann. Viele vermeintlich unheilbare Probleme lösen sich auf, wenn die Grundbedürfnisse der Pferde respektiert werden.
Der erste Schritt ist die ehrliche Bestandsaufnahme: Werden die Grundbedürfnisse des Pferdes erfüllt? Gibt es Warnsignale, die übersehen wurden? Welche Verbesserungen sind möglich und nötig?
Der zweite Schritt ist der Mut zur Veränderung. Manchmal bedeutet das, liebgewonnene Gewohnheiten aufzugeben oder finanzielle Investitionen zu tätigen. Aber die Gesundheit der Pferde sollte diese Anstrengungen wert sein.
Artgerechte Haltung ist die beste Medizin – und die beste Prävention. Wer seinem Pferd ein Leben entsprechend seiner Natur ermöglicht, wird mit einem gesunden, ausgeglichenen Partner belohnt. Die Alternative ist ein Leben voller Tierarztbesuche, Medikamente und leidender Tiere. Die Entscheidung liegt bei uns. Jeden Tag aufs Neue.
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