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Von der Shetlandpony-Oma bis zum Vollblut-Youngster – wie unterschiedlich Pferdebedürfnisse wirklich sind

Das Wichtigste in Kürze:

  • Jedes Pferd hat individuelle Bedürfnisse, die von Alter, Rasse, Gesundheitszustand und Nutzung abhängen
  • Jungpferde brauchen mehr soziale Interaktion und Lernerfahrungen, während Senioren Komfort und Ruhe benötigen
  • Leichtfuttrige Pferde leiden oft unter Energieüberschuss und brauchen Bewegung, schwerfuttrige benötigen Schutz vor Futterkonkurrenz
  • Sportpferde haben andere Anforderungen als Freizeitpferde – sowohl körperlich als auch mental
  • Robuste Rassen verkraften Witterung besser, während hochgezüchtete Rassen mehr Schutz und Pflege benötigen
  • Kranke und rekonvaleszente Pferde brauchen angepasste Haltung, die Heilung fördert ohne zu isolieren

Das Ende der Einheitslösung

Lange Zeit galt in der Pferdehaltung das Prinzip „one size fits all“ – eine Boxengröße, eine Fütterung, ein System für alle. Heute wissen wir: Pferde sind Individuen mit höchst unterschiedlichen Bedürfnissen. Ein Shetlandpony und ein Sportwarmblut unterscheiden sich nicht nur in der Größe, sondern auch in Stoffwechsel, Kälteresistenz, Sozialverhalten und Bewegungsbedürfnis.

Die größte Herausforderung liegt darin, für jedes Pferd das passende Haltungssystem zu finden. Das erfordert genaue Beobachtung, Erfahrung und die Bereitschaft, etablierte Routinen zu hinterfragen.

Jungpferde – neugierig, verspielt und lebhaft

Junge Pferde sind wie Schwämme – sie saugen Erfahrungen auf und lernen täglich dazu. Für sie ist der Kontakt zu anderen Pferden existentiell wichtig. Sie lernen durch Beobachtung und Nachahmung die Regeln des Pferdelebens. Isolation in jungen Jahren kann zu lebenslangen Verhaltensproblemen führen.

Besonders wertvoll ist der Kontakt zu älteren, erfahrenen Pferden, die als „Lehrmeister“ fungieren. Jungpferde haben außerdem einen enormen Bewegungsdrang, der ausgelebt werden muss. Verschiedene Untergründe und Hindernisse fördern die motorische Entwicklung und prägen die spätere Trittsicherheit.

Bei der Fütterung brauchen wachsende Pferde hochwertiges Eiweiß und ausreichend Energie, aber Überfütterung kann zu Entwicklungsstörungen führen. Die Balance zwischen ausreichender Versorgung und Überfütterung erfordert Fachwissen und regelmäßige Kontrolle.

Senioren – Würde und Komfort im Alter

Alte Pferde haben ganz andere Bedürfnisse. Mit dem Alter verändert sich vieles: Die Beweglichkeit nimmt ab, das Immunsystem schwächelt, und die Anpassung an Veränderungen fällt schwerer. Diese Faktoren müssen bei der Haltungsplanung berücksichtigt werden.

Entgegen der landläufigen Meinung sollten alte Pferde nicht isoliert werden. Soziale Kontakte werden im Alter noch wichtiger, da sie Sicherheit und Struktur bieten. Allerdings brauchen Senioren Rückzugsmöglichkeiten und oft Schutz vor jüngeren, energischeren Pferden beim Fressen.

Alte Pferde werden oft ruhiger, aber auch manchmal ängstlicher. Neue Situationen stressen sie mehr als früher, und sie hängen stärker an Routinen. Pferdebesitzer sollten Geduld aufbringen und die Haltung an die sich ändernden Bedürfnisse anpassen. Oft ist eine Box oder ein abgetrennter Bereich im Offenstall über Nacht eine gute Lösung, um eine Balance zwischen Sozialkontakten und Rückzugsbereich zu finden. Der weitere Vorteil einer solchen Lösung liegt darin, dass der Senior über Nacht mit reichlich Heucobs zugefüttert werden kann, ohne dass ein jüngeres Pferd sie ihm wegfrisst.

Leichtfuttrige vs. schwerfuttrige Pferde

Pferde unterscheiden sich dramatisch in ihrer Futterverwertung – nicht nur von Rasse zu Rasse, sondern auch ganz individuell. Leichtfuttrige Pferde setzen schon bei nährstoffreichem Heu Gewicht an und sind gesundheitlich gefährdet durch Übergewicht. Paradoxerweise brauchen sie dadurch oft mehr Bewegung als schwerfuttrige Pferde, um die Kalorien wieder abzutrainieren. Mageres Heu, engmaschige Heunetze und Heu-Stroh-Mischungen als Grundfutter helfen bei der Gewichtskontrolle.

Schwerfuttrige Pferde hingegen brauchen Schutz vor Futterkonkurrenz und Stress. Sie profitieren von nährstoffreicherem Heu und weitmaschigen Heunetzen oder lose angebotenem Heu – also genau das Gegenteil der leichtfuttrigen Kandidaten. In der Gruppe kommen sie häufig zu kurz und benötigen manchmal separate Fütterungsbereiche. Diese Pferde sind meist auch empfindlicher gegen Wetterextreme und brauchen mehr Witterungsschutz, was in großen oder unruhigen Offenstallgruppen nicht immer gegeben ist.

Bevor das Management angepasst wird, sollten gesundheitliche Ursachen für Gewichtsprobleme ausgeschlossen werden. Zahnprobleme, Parasitenbefall, chronische Schmerzen oder Stoffwechselstörungen können die eigentlichen Ursachen sein, warum Pferde Probleme haben, ihr Gewicht zu halten.

Sportpferde vs. Freizeitpferde

Pferde im intensiven Sport haben einen erhöhten Energiebedarf und brauchen optimale Regenerationsmöglichkeiten. Sie sind oft wertvoll und werden entsprechend vorsichtig gehalten, da Sozialkontakte mit Artgenossen auch das Unfallrisiko erhöhen. Diese Einschränkung muss durch intensive Betreuung und Beschäftigung kompensiert werden. Mental sind gerade hochbegabte Sportpferde oft sensibel und brauchen mehr Ruhe und Struktur.

Freizeitpferde können meist entspannter gehalten werden und profitieren oft von naturnahen Haltungsformen. Offenstall oder Trail-Systeme entsprechen ihren Bedürfnissen meist gut. Allerdings darf „Freizeitpferd“ nicht „weniger Aufmerksamkeit“ bedeuten. Nur weil das Pferd in einem sehr guten Paddock Trail Stall steht heißt das nicht, dass man es sich selbst überlassen sollte.

Besonders herausfordernd sind Übergänge zwischen verschiedenen Nutzungsformen. Ein Sportpferd, das in Rente geht, muss langsam an neue Haltungsformen gewöhnt werden, wenn es von der Box in eine Gruppenhaltung umziehen soll. Viele Jahre Einzelhaltung sorgen dafür, dass die Pferde Sozialverhalten verlernen und in Gruppen oft extrem gestresst sind. Manchmal ist eine Kombination aus Gruppenhaltung über Tag und Box über Nacht die bessere Wahl für solche Pferde.

Umgekehrt stellt das Aufstallen von Jungpferden einen kritischen Punkt dar: Bis gestern noch mit den Freunden in freier Offenstall- oder Weidehaltung und heute alleine in einer Box ohne Bewegung und Sozialkontakt, dafür mit permanenten Forderungen des Menschen: Hufe geben, am Halfter herumführen, im Kreis traben, Sattel, Trense… Kein Wunder, dass viele Jungpferde in dieser Zeit anfangen, stereotype Verhaltensmuster wie Koppen zu entwickeln. Mehr Rücksicht auf die Natur des Pferdes und eine angepasste Haltung sorgen für ein leistungsbereites Jungpferd, das gerne mitarbeitet.

Rasseunterschiede: Von robust bis sensibel

Robuste Pferderassen wie Isländer oder Highland Ponys verkraften Kälte, Wind und karges Futter in der Regel besser als einige andere Rassen wie Vollblüter oder Araber. Sie fühlen sich in naturnahen Haltungsformen meist wohl, neigen aber oft zu Gewichtszunahme bei zu nahrhafter Fütterung. Für sie ist eine Gruppenhaltung wie Paddock Trail Systeme meist ideal, da sie ihrer Natur entgegenkommen und Bewegung fördern.

Warmblüter sind oft gute Allrounder, die verschiedene Haltungsformen vertragen. Sie sind weniger extrem als andere Rassen und entsprechend anpassungsfähig, brauchen aber meist mehr Schutz als ursprüngliche Rassen. Daher sind sie in der Regel besser aufgehoben in einer Kombination aus Gruppenauslauf über Tag und Box oder Paddockbox über Nacht. Über den Sommer klappt meist auch eine komplette Offenstall- oder Weidehaltung gut, aber sobald das Wetter im Herbst unfreundlicher wird, wissen viele Warmblüter die Box zu schätzen, da sie zuchtbedingt meist kein dichtes Winterfell mehr bilden.

Vollblüter sind die sensiblen Hochleistungsathleten unter den Pferden. Sie sind temperamentvoll und reaktionsschnell, weshalb Ruhe und Struktur wichtiger sind. Sie frieren leichter und ihre dünne Haut und ihr feines Fell ist empfindlicher gegen Verletzungen und nasskalte Witterung. Auch wenn es einige Vollblüter in Gruppenhaltung gibt, die sich wirklich wohlfühlen, muss man hier im Winter immer ein Auge drauf haben, ob sie genügend Witterungsschutz bekommen. Da sie generell eher schwerfuttrig sind, kommt es bei Gruppenhaltung auch häufiger zu Konflikten zwischen den Besitzern im Bezug auf die optimale Fütterung, wenn der dünne Vollblüter mit dem dicken Tinker in einer Gruppe steht.

Kaltblüter sind meist ruhige, gutmütige Pferde, deren Größe, Gewicht und Kraft besondere Anforderungen an die Stallbauweise stellen. Sie haben oft einen langsameren Stoffwechsel und brauchen manchmal Motivation zur Bewegung. Paddock Trail Haltung ist für sie daher besser als eine Boxenhaltung, denn die ständige Bewegung hält ihre durch das schwere Gewicht belasteten Gelenke geschmeidig und kommt ihrem langsamen Stoffwechsel zugute.

Das heißt nicht, dass es nicht auch Isländer gäbe, die bei Regen schnell frieren oder Warmblüter, die begeistert das ganze Jahr im Offenstall wohnen. Die Rasse ist immer ein Hinweis auf die Bedürfnisse, aber das Individuum kann eine ganz klar andere Präferenz haben.

Eine Herde Island Pferde
Robustpferderassen fühlen sich in naturnahen Haltungsformen meist wohl © Adobe Stock / Alexander

Kranke und rekonvaleszente Pferde

Kranke Pferde brauchen Ruhe, aber komplette Isolation kann kontraproduktiv sein. Sie sollten ihre Artgenossen sehen und hören können, da dieser Sozialkontakt den Heilungsprozess beschleunigen kann. Optimal sind Krankenpaddocks mit Unterstand, die einen Kontakt über den Zaun zu Artgenossen ermöglichen und groß genug sind, dass die Pferde nicht auf der Stelle drehen müssen.

Pferde mit chronischen Krankheiten brauchen angepasste, aber nicht isolierte Haltung. Arthrose-Pferde profitieren von weichen Böden und ständiger moderater Bewegung. Sie sind vor allem in Paddock Trail Systemen gut aufgehoben. Pferde mit chronischen Atemwegsproblemen brauchen staubfreie Umgebung, sie sollten also immer eine Außen-Haltung haben, in Offen-, Aktiv- oder Paddock Trail Ställen. Boxenhaltung ist problematisch. Müssen sie aufgrund anderer Gesundheitsprobleme oder ihres Alters über Nachtaufgestallt werden, so sollte man ihnen die Möglichkeit eines separaten Paddocks mit Unterstand geben, statt sie in einen geschlossenen Stallzu stellen. Bei chronisch kranken Pferden muss man also immer nach der für den Einzelfall passenden Lösung suchen, was nicht immer ganz einfach ist.

Rekonvaleszente Pferde befinden sich in einer besonderen Übergangsphase. Kontrollierte Bewegung ist oft wichtiger als Ruhe, und psychisch brauchen sie Ablenkung und soziale Kontakte, soweit medizinisch vertretbar. Hier kann oft eine Zweier-Offenstallhaltung mit einem befreundeten, ruhigen Pferd eine gute Übergangslösung sein, bis das rekonvaleszente Pferde wieder komplett in die Gruppe integriert werden kann.

Individuelle Lösungen finden

Der erste Schritt zu artgerechter Haltung ist genaue Beobachtung des individuellen Pferdes über längere Zeiträume. Jedes Pferd zeigt durch sein Verhalten, was es braucht und was es stresst, sofern man sich die Zeit nimmt, diese Signale wahrzunehmen. Ideale Haltungssysteme sind flexibel und können an verschiedene Bedürfnisse angepasst werden. So kann es hilfreich sein, wenn in einem Stall sowohl verschiedene Offenstallgruppen als auch einige Boxen für Notfälle zur Verfügung stehen. Damit kann man häufig einen Stallwechsel vermeiden, wenn sich die Bedürfnisse des Pferdes ändern und es z.B. altersbedingt nachts aufgestallt werden muss.

Perfekte Lösungen gibt es selten. Meist müssen Kompromisse eingegangen werden zwischen Ideal und Machbarem. Wichtig ist, dass diese Kompromisse bewusst eingegangen werden und die wichtigsten Bedürfnisse des Pferdes erfüllt bleiben.

Vielfalt als Bereicherung

Die Individualität der Pferde ist keine Erschwernis, sondern eine Bereicherung. Wer lernt, die unterschiedlichen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen, die Gruppen passend zusammenzustellen und sie so zu versorgen, wie die Natur das vorgesehen hat, wird mit gesünderen, zufriedeneren Pferden belohnt.

Die Zukunft der Pferdehaltung liegt in flexiblen, anpassbaren Systemen, die jedem Pferd das geben können, was es braucht. Denn am Ende ist jedes Pferd einzigartig – und verdient es, auch so behandelt zu werden.

Team Sanoanimal