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Warum artgerechte Haltung langfristig oft günstiger ist als gedacht

Das Wichtigste in Kürze:

  • Artgerechte Haltung ist oft langfristig wirtschaftlicher als scheinbar günstige Alternativen
  • Gesunde Pferde verursachen deutlich geringere Tierarztkosten und haben eine längere Nutzungsdauer
  • Gesunde Pferde sorgen für zufriedene Besitzer, weniger Streit auf dem Hof und weniger stressigen Wechsel von Einstellern
  • Höhere Investitionskosten amortisieren sich durch niedrigere Betriebskosten und zufriedenere Kunden
  • Arbeitsersparnis mit durchdachten Systemen kann Personalkosten senken
  • Stallbetreiber können mit artgerechter Haltung neue Zielgruppen erschließen und höhere Preise erzielen
  • Clevere Kompromisse ermöglichen auch bei begrenztem Budget deutliche Verbesserungen

Das scheinbare Dilemma

„Artgerechte Haltung ist ein Luxus, den sich nur Reiche leisten können“ – dieser Satz fällt immer wieder, wenn über Verbesserungen in der Pferdehaltung diskutiert wird. Dahinter steckt die weit verbreitete Annahme, dass Tierschutz automatisch teurer ist als konventionelle Haltung. Doch stimmt das wirklich?

Die Realität ist komplexer. Während artgerechte Haltungssysteme oft höhere Anfangsinvestitionen erfordern, können sie langfristig sogar günstiger sein. Der Schlüssel liegt in der Gesamtbetrachtung aller Kosten über die gesamte Lebensdauer der Pferde.

Kurz- vs. langfristige Betrachtung

Das Problem liegt oft in der zu kurzfristigen Betrachtung. Wer nur die Baukosten vergleicht, übersieht die versteckten Folgekosten schlechter Haltung. Tierarztkosten, verkürzte Nutzungsdauer und reduzierte Leistungsfähigkeit können die vermeintlichen Ersparnisse schnell zunichtemachen.

Natürlich kommt hier bei Einstellbetrieben oft die Argumentation, dass die Baukosten vom Stallbetreiber zu tragen sind, die Kosten für das kranke Pferd hingegen vom Besitzer. Allerdings sorgen unzufriedene Besitzer und ein Stall, der „die Pferde krank macht“ oft für einen schlechten Ruf, was die Preise drückt. Der Nachbarstall kann für seine artgerechte Haltung, in der die Pferde gesund und die Besitzer zufrieden sind, oft deutlich mehr Stallmiete verlangen, was dann die höheren Investitionen wieder ausgleicht.

Man sieht also: das Thema ist komplex. Eine ehrliche Kalkulation muss alle Faktoren berücksichtigen: Bau- und Betriebskosten, Arbeitsaufwand, Tierarztkosten, Wertverlust durch Krankheiten und nicht zuletzt die Zufriedenheit der Kunden. Erst dann wird das wahre Verhältnis von Kosten und Nutzen sichtbar.

Versteckte Kosten schlechter Haltung

Tierarztkosten als größter Posten

Studien zeigen eindeutig: Pferde aus problematischen Haltungssystemen werden deutlich häufiger krank. Bewegungsmangel führt zu Koliken, schlechte Stallluft zu Atemwegserkrankungen, Stress zu Magengeschwüren. Diese Krankheiten sind nicht nur für die Pferde belastend, sondern auch teuer.

Ein Pferd mit chronischen Atemwegsproblemen kann jährlich 2.000-3.000 Euro Kosten für Tierarzt und Therapeutika verursachen. Muss zusätzlich ein Heubedampfer angeschafft werden, dann schlägt auch das mit erheblichen Kosten zubuche und die Arbeitszeit steigt, um mehrmals täglich Heu in Netze zu stopfen und zu bedampfen. Eine Kolik-Operation kostet schnell 5.000-10.000 Euro – von dem Risiko, das Pferd zu verlieren, mal ganz abgesehen. Hufrehe durch falsche Haltung kann ein Pferd dauerhaft unbrauchbar machen und über die folgenden Jahre tausende Euro an Kosten nach sich ziehen für Therapie, Spezialbeschläge und spezielle Haltung, um den Bedürfnissen des chronisch rehekranken Pferdes gerecht zu werden.

Solche Kosten fallen bei artgerechter Haltung deutlich seltener an.

Verkürzte Nutzungsdauer

Pferde aus schlechter Haltung haben oft eine verkürzte „Nutzungsdauer“. Während artgerecht gehaltene Pferde bis ins hohe Alter fit bleiben können und viele noch mit Mitte 20 unter dem Sattel sind, werden schlecht gehaltene Tiere oft schon mit 8-12 Jahren „unbrauchbar“ durch chronische Lahmheiten, Atemwegsprobleme, wiederkehrende Koliken und andere leistungseinschränkende Erkrankungen. Dieser vorzeitige Wertverlust ist ein enormer wirtschaftlicher Faktor, vom Leid des Tieres durch chronische Schmerzen mal ganz abgesehen.

Auch wenn sie nicht schwer krank werden, sind Pferde aus problematischer Haltung oft weniger leistungsfähig. Sie ermüden schneller, sind weniger motiviert und haben häufiger kleine „Zipperlein“. Als Besitzer gibt man deutlich mehr Geld für Spezialfuttermittel aus, um die Leistungsfähigkeit und die Kondition des Sportpartners zu steigern. Für Reitschulen bedeutet das weniger nutzbare Stunden pro Pferd bei gleichzeitig höheren Tierarztkosten.

Die Lebenszeit-Rechnung

Ein Rechenbeispiel verdeutlicht die langfristigen Kosten: Nehmen wir an, ein Pferd in optimaler Haltung verursacht 200 Euro Tierarztkosten jährlich und bleibt 25 Jahre „nutzbar“. Ein Pferd in problematischer Haltung kostet 800 Euro jährlich beim Tierarzt (was günstig gerechnet ist) und ist nur 18 Jahre nutzbar. Über die Lebenszeit entstehen so Mehrkosten von 10.800 Euro – genug, um einen besseren Stallplatz zu finanzieren.

Investitionskosten vs. Betriebskosten

Wo artgerechte Haltung wirklich teurer ist

Artgerechte Haltungssysteme erfordern oft höhere Anfangsinvestitionen. Ein gut geplanter Offenstall mit ordentlicher Drainage und durchdachter Infrastruktur kostet in der Regel mehr als ein einfacher Boxenstall. Diese Mehrkosten sind real und müssen ehrlich kalkuliert werden. Je größer der Auslauf, je komplexer der Untergrund, umso teurer. Frostsichere Tränken, mehrere Heuraufen, doppelte Zäune für Paddock Trail Laufwege – all diese Kosten müssen realistisch einkalkuliert werden. Auch der Flächenbedarf ist meist höher. Artgerechte Systeme brauchen mehr Platz pro Pferd, was in teuren Lagen problematisch werden kann. Land ist in Ballungsgebieten oft der limitierende Faktor, nicht das Geld für die Baukosten.

Wo artgerechte Haltung günstiger wird

Bei den Betriebskosten kehrt sich das Verhältnis oft um. Offenställe brauchen weniger oder gar keine Einstreu, da die Pferde gerne draußen in Sandkuhlen oder auf Sandhügeln schlafen, was bei steigenden Preisen für Stroh oder Späne erhebliche Ersparnisse bringt. Der Arbeitsaufwand für die tägliche Stallarbeit reduziert sich drastisch, wenn man nur Äppel einsammeln und nicht verschmutzte von sauberer Einstreu trennen muss.

Hat man den Offenstall als Paddock Trail angelegt, dann ist das Abäppeln oft noch zeitsparender als bei weitläufigen Offenstallausläufen, da man nur die Wege abgehen und die Äppel einsammeln muss. Das reduziert erheblich Kosten für die Arbeitszeit. Außerdem fällt weniger Mist an, was in Zeiten immer komplexerer „Düngeverordnungen“ durchaus Vorteile bringen kann, da Mist inzwischen teilweise teuer entsorgt werden muss.

Auch der Futterverbrauch kann sich reduzieren: es wird weniger Heu unter die Einstreu gemischt und verschmutzt, wie man das bei Boxen oft sehen kann. Pferde in artgerechter Haltung mit 24/7 Raufutterzugang durch mehrere Heunetze oder Raufen fressen oft in Summe weniger Heu und verwerten es meist besser, da die Verdauung durch die konstante Bewegung angeregt wird. Dadurch brauchen sie zusätzlich weniger Kraftfutter und weniger Spezialfuttermittel. Die natürliche Hufabnutzung spart Kosten für Spezialbeschläge, und die bessere Gesundheit senkt die Tierarztkosten erheblich.

Dazu kann ein guter, artgerechter Stall oft höhere Stallmieten aufrufen als ein schlecht gemanagter Stall, der im Ruf steht, dass die Pferde dort krank werden.

Die Amortisationsrechnung

Höhere Investitionskosten amortisieren sich oft überraschend schnell. Ein Offenstall, der 3.000 Euro mehr pro Pferdeplatz kostet, kann sich durch eingesparte Betriebskosten binnen 5-7 Jahren amortisieren. Danach wird jedes Jahr Geld gespart, welches als Gewinn am Ende des Jahres übrig bleibt.

Diese Rechnung wird noch günstiger, wenn man die reduzierten Tierarztkosten und die längere Nutzungsdauer der Pferde einbezieht, was natürlich weniger für Einstellbetriebe interessant ist, aber durchaus für Reitschulen, Zuchtbetriebe und Stallbetreiber, die eigene Pferde zusammen mit Pensionspferden halten. Viele Stallbetreiber sind überrascht, wie schnell sich Investitionen in bessere Haltung rechnen.

Arbeitsaufwand und Zeitmanagement

Weniger tägliche Routine

Artgerechte Haltungssysteme können den täglichen Arbeitsaufwand erheblich reduzieren: Automatische Tränken reduzieren das Wasserschleppen, mehrere Ballenheuraufen müssen nur einmal wöchentlich aufgefüllt werden und nicht täglich Heu in die Boxen geschoben werden, die Pferde sind meist gesünder und brauchen weniger Pflege und Aufmerksamkeit.

Diese Arbeitsersparnis ist besonders bei steigenden Personalkosten wichtig. Wenn ein Stallmitarbeiter eine Stunde weniger pro Tag arbeiten muss, entstehen monatlich mehrere hundert Euro Ersparnis. Diese Summe kann in bessere Haltungsbedingungen investiert werden.

Anderer Arbeitsaufwand

Allerdings entsteht auch neuer Arbeitsaufwand. Herdenmanagement erfordert mehr Fachwissen und Aufmerksamkeit als Einzelhaltung. Weiden müssen gepflegt, Gruppen überwacht und Konflikte gelöst werden. Dieser Aufwand ist oft weniger körperlich, aber mental anspruchsvoller.

Artgerechte Haltung erfordert besser qualifizierte Mitarbeiter. Herdenmanagement und Tierbeobachtung sind anspruchsvoller als das Ausmisten von Boxen. Das kann zu höheren Personalkosten führen, aber auch zu zufriedeneren und motivierteren Mitarbeitern.

Marktpositionierung und Kundenakquise

Stallbetreiber, die auf artgerechte Haltung setzen, können neue Zielgruppen erschließen. Immer mehr Pferdebesitzer legen Wert auf das Wohlbefinden ihrer Tiere und sind bereit, dafür mehr zu bezahlen. Diese Kunden sind oft treuer und weniger preissensibel, weil sie wissen, dass sich eine artgerechte Haltung am Ende des Tages auch durch deutlich niedrigere Tierarzt- und Therapiekosten bezahlt macht.

In Zeiten des Internets informieren sich Pferdebesitzer zunehmend intensiv über Haltungsbedingungen und meiden Ställe mit schlechtem Ruf. Wer hier nicht mithalten kann, verliert an Marktanteilen und muss seine Pensionspreise senken, um den Stall voll zu bekommen.

Artgerechte Haltung rechtfertigt hingegen höhere Preise. Kunden, die Wert auf das Wohlbefinden ihrer Pferde legen, zahlen gerne 50-100 Euro mehr pro Monat für bessere Bedingungen. Diese Mehreinnahmen können die höheren Kosten für Investitionen mehr als kompensieren.

Gute Haltungsbedingungen sind das beste Marketing. Zufriedene Kunden empfehlen den Stall weiter, und eine gute Reputation zieht weitere Kunden an. Mundpropaganda ist in der Pferdewelt besonders wichtig und kostenloses Marketing.

Ein zufriedener Kunde bringt dir im Schnitt 2-3 neue Kunden. Aber ein unzufriedener Kunde hält bis zu 12 Kunden davon ab, zu dir zu kommen!

Herde von Pferden stehen auf einer Weide und grasen
Pferdehaltern wird immer mehr die Wichtigkeit von guter Haltung bewusst © Adobe Stock / Patrick Jennings

Fördermöglichkeiten und Unterstützung

Viele Bundesländer fördern tierwohlgerechte Stallbauten mit Zuschüssen oder günstigen Krediten. Diese Programme können die Investitionskosten reduzieren und über einen längeren Zeitraum strecken und auf diese Weise artgerechte Haltung auch bei kleinem Budget ermöglichen. Auch die EU unterstützt tierwohlgerechte Haltung durch verschiedene Programme. Informationen gibt es bei den Landwirtschaftskammern oder Veterinärämtern.

Professionelle Beratung kann teure Fehler vermeiden. Erfahrene Planer kennen kostengünstige Lösungen und können auch bei begrenztem Budget gute Haltungssysteme entwickeln. Die Beratungskosten amortisieren sich oft durch optimierte Planung, welche Kosten sowohl beim Bau, als auch „Lehrgeld“ durch Fehlplanungen spart.

Außerdem muss nicht alles sofort perfekt sein. Eine stufenweise Umsetzung kann die finanzielle Belastung verteilen und Erfahrungen sammeln helfen. Oft entstehen dabei bessere Lösungen als bei der Komplettplanung auf dem Reißbrett.

Clevere Kompromisse finden

Bei begrenztem Budget müssen Prioritäten gesetzt werden. Die wichtigsten Verbesserungen sollten zuerst umgesetzt werden. Oft bringen kleine Änderungen schon große Verbesserungen für das Tierwohl. Bewegungsfreiheit ist meist wichtiger als luxuriöse Ausstattung. Einen ersten Trail anzulegen und mit Paddockplatten zu befestigen, kann ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein. Wird er gut akzeptiert von den Pferden, kann man das Konzept Schritt für Schritt erweitern. Selbst ein einfacher Offenstall, der nur rund um die Raufen eine Bodenbefestigung hat, ist oft schon besser als eine schicke, teure Box mit wenig Auslauf und Luxus-Espressomaschine im Reiterstübchen.

Oft gibt es kostengünstige Alternativen zu teuren Standardlösungen. Gebrauchte Materialien, Eigenleistung der Einsteller gegen anfangs reduzierte Stallmiete oder Kooperationen mit anderen Stallbetreibern können Kosten senken, ohne das Tierwohl zu beeinträchtigen. Mehrere kleine Betriebe können sich zusammenschließen und gemeinsam in bessere Haltungssysteme investieren. Maschinenringe oder Kooperationen können teure Anschaffungen finanzierbar machen.

Langfristige Perspektive

Das Bewusstsein für Tierwohl wächst stetig, und schlechte Haltung wird zunehmend gesellschaftlich geächtet. Betriebe, die nicht mithalten können, werden langfristig Probleme bekommen. Investitionen in artgerechte Haltung sind auch Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Betriebs.

Dem sich ändernden Bewusstsein folgend, wird die Tierschutzgesetzgebung kontinuierlich verschärft. Was heute noch legal ist, kann morgen verboten sein. Wer schon heute hohe Standards hat, muss sich keine Sorgen um zukünftige Verschärfungen machen.

Gut geplante, artgerechte Haltungsanlagen steigern darüber hinaus den Wert der Immobilie erheblich. Diese Wertsteigerung sollte bei der Investitionsrechnung berücksichtigt werden.

Kein Dilemma, sondern eine Chance

Das vermeintliche Dilemma zwischen Wirtschaftlichkeit und Tierschutz löst sich bei genauerer Betrachtung auf. Artgerechte Haltung ist nicht der teure Luxus, als der sie oft dargestellt wird, sondern eine langfristig wirtschaftliche Investition.

Der Schlüssel liegt in der Gesamtbetrachtung aller Kosten und Nutzen über einen längeren Zeitraum. Wer nur die Anfangsinvestition betrachtet, übersieht die erheblichen Einsparungen bei den kosten und die Möglichkeiten zur Preiserhöhung. Artgerechte Haltung ist damit keine Kostenfrage, sondern eine Frage der richtigen Planung und des Mutes zu langfristigen Investitionen. Die Pferde, die Kunden und letztendlich auch das Bankkonto werden es danken.

Wer heute noch zögert, verpasst nicht nur die Chance auf gesündere, glücklichere Pferde, sondern auch auf ein wirtschaftlich erfolgreicheres Unternehmen. Die Zukunft gehört denen, die Tierwohl und Wirtschaftlichkeit als Partner und nicht als Gegner begreifen.

Team Sanoanimal