Die chinesische Medizin ist eine sehr alte Medizin und Akupunktur bei Pferden wurde bereits vor circa 3.000 Jahren als Heilmethode praktiziert. Pferde waren im alten China sehr wertvolle Tiere, die zur Kriegsführung eingesetzt wurden und deren Gesunderhaltung einen hohen Stellenwert hatte.
Geschichte der TCM-Diagnostik
Vor 3.000 Jahren gab es aber weder Röntgen, Ultraschall, Blutbild oder andere wissenschaftliche Untersuchungsmethoden und so mussten die Chinesen ihre Diagnose anhand ihrer Beobachtungen stellen. Da sie sehr naturverbunden waren, verwendeten sie Begriffe von Naturphänomenen für die verschiedenen Krankheitsmuster. Deshalb gibt es in der TCM auch keine Behandlungsstrategien für Husten, Magen-Darm- Erkrankungen oder Lahmheiten des Knies, sondern Akupunkturpunkte oder Kräuterrezepturen für Hitze-Schleim, Leber-Feuer, Milz-Qi-Mangel oder Nieren-Yang-Mangel. Für eine Behandlung nach TCM-Grundsätzen braucht man nicht zwingend eine westliche Diagnose, aber man muss wissen, ob man es mit einer Kälte- oder Hitzeerkrankung oder einer Fülle- oder Leere-Erkrankung zu tun hat, ob ein pathogenen Faktor vorhanden ist oder ob eine oder mehrere Grundsubstanzen im Mangel sind.
Fülle- und Mangel-Erkrankungen
Hitze-Schleim und Leber-Feuer sind Fülle-Erkrankungen. Das heißt, der Patient hat eine akute Erkrankung mit deutlichen Symptomen und einem vollen, schnellen Puls. Hitze-Schleim kann zum Beispiel als akute bakterielle Infektion mit Fieber und abhusten von gelbem Schleim oder auch in Form eines stark geschwollenen, heißen und unbeweglichen Gelenk auftreten. Mangel-Erkrankungen hingegen haben oft ein chronisches Geschehen. Der Patient ist hierbei bereits geschwächt, was sich in unter anderem in einem schwachen Puls zeigt, und die Symptome sind eher undefinierter. Ein Milz-Qi-Mangel zum Beispiel kann Probleme im Verdauungstrakt mit Fressunlust, Müdigkeit und Durchfall verursachen, während sich ein Nieren-Yang-Mangel eher in Problemen des Knies und der Lendenwirbelsäule äußert, die sich bei kaltem, feuchtem Wetter verschlimmern.
Unterschiede zwischen westlicher und TCM-Befundung
Um das genaue Krankheitsmuster bestimmen zu können, benötigt man zwingend eine Diagnose nach der TCM. Wie bestimmt nun der Therapeut das jeweilige Disharmoniemuster? Hierfür gibt es verschiedene Diagnosemöglichkeiten, die schlussendlich zu einer individuellen (auf das Krankheitsbild des Tieres abgestimmten) TCM-Diagnose kombiniert werden. Diese Diagnose gleicht einem Puzzle. Man muss die einzelnen Stückchen sammeln und zu einem passenden Muster kombinieren. Dies ist ein kurzer Einblick in die Vorgehensweise einer TCM-Untersuchung:
Befragung – Anamnese
Die Anamnese nach TCM ist sehr ähnlich zur westlichen Anamnese. Das Beschwerdebild wird abgefragt, bei welchen Begebenheiten sich die Problematik verschlechtert und was die Beschwerden verbessert. Der Therapeut möchte herausfinden seit wann die Probleme bestehen, ob es Nebenerkrankungen gibt, welche Medikamente aktuell verabreicht werden usw.. Natürlich wird auch in der chinesischen Medizin die schulmedizinische Diagnose und deren Behandlung erfragt. Allerdings spielen in der TCM auch noch andere Faktoren eine Rolle. So geht es bei der TCM- Anamnese zusätzlich um die Kot- und Urinbeschaffenheit, das Schlaf- und Trinkverhalten, Sexualverhalten, psychische Auffälligkeiten, Wettereinflüsse und noch einiges mehr.
Sichtbefund – Adspektion
In der Befundung nach TCM-Grundsätzen findet auch eine optische Einschätzung des Patienten statt. Während diese sich westlich häufig auf Stand- und Gangbild beschränkt, finden in der chinesischen Medizin auch Fellbeschaffenheit, Huf- und Krallenzustand, Narbenbildung und Körperhaltung Beachtung, da diese uns wichtige Hinweise auf das spezifische TCM-Disharmoniemuster geben können.
Tastbefund – Palpation
Im Anschluss an den Sichtbefund wird das Tier abgetastet. Man beginnt mit einem allgemeinen und sanften Abstreichen des gesamten Körpers, da dies einerseits das Vertrauen des Tieres zum Therapeuten fördert andererseits bereits druckdolente Punkte (schmerzhafte Druckpunkte) ermittelt werden. Außerdem können eventuell vorhandene Hitze- oder Kältebereiche erfühlt werden.
Auch die Untersuchung der sogenannten Shu- und Mu-Punkte (Zustimmungs- und Alarmpunkte) spielen für die Diagnosefindung eine wichtige Rolle. Dabei geben uns die Shu-Zustimmungs-Punkte, die auf der Blasenleitbahn liegen, einen Hinweis auf die betroffenen Funktionskreise und die auffälligen Mu-Alarm-Punkte zeigen uns eine Störung in dem dazugehörigen inneren Organ an. Funktionskreise werden oft auch Organe der TCM genannt, chinesisch heißen diese Zang-Fu. Die verschiedenen Zang-Fu spiegeln allerdings nicht nur das innere Organ an sich wider, sondern auch die TCM spezifischen Zugehörigkeiten. Wenn man zum Beispiel eine Berührungsempfindlichkeit am Shu-Punkt Blase23 (chinesisch Shen Shu) feststellt, bedeutet das, dass das Tier Probleme im Nieren-Funktionskreis hat. Es bedeutet nicht, dass der Hund oder das Pferd jetzt einen Nierenschaden hat, sondern das zum Beispiel Probleme in den Fortpflanzungsorganen, im Wachstum, mit den Ohren, mit Kälte oder Ängstlichkeit vorhanden sein können, da diese Entsprechungen dem Funktionskreis der Niere zugeordnet werden. Einzig allein die auffälligen Mu-Alarm-Punkte geben einen wirklichen Hinweis auf Störungen in den inneren Organen, ansonsten dreht sich in der TCM immer alles um Funktionskreise.

Die Shu-Punkte Untersuchung kann mit dem Finger oder einem Untersuchungsstäbchen erfolgen.
Puls– und Zungendiagnostik

Bei der Zungendiagnostik bietet es sich an, zunächst seitlich zu schauen
Die Diagnosestellung über die Betrachtung der Zunge und Tastens des Pulses nimmt einen hohen Stellenwert in der chinesischen Medizin ein. Häufig werden diese beiden wichtigen Diagnoseinstrumente nicht gelehrt. Mit einer fundierten, praktischen Anleitung und ein wenig Übung sind Zungen- und Pulsdiagnose sehr gut in den Untersuchungsgang integrierbar. Über die Zungendiagnostik bekommt der Therapeut Hinweise auf die betroffenen Funktionskreise, pathogene Faktoren und die betroffenen Grundsubstanzen. Dazu werden sowohl die Form, als auch die Farbe der Zunge beurteilt.
Über die Pulsdiagnostik wird der energetische Gesamtzustand des Patienten ermittelt und eine Aussage über die Qualität des Krankheitszustandes getroffen. Es werden Stärke, Breite, Rhythmus, Frequenz, Länge und Qualität an insgesamt sechs verschiedenen Stellen und mit unterschiedlichen Druckstärken beurteilt. Hierbei wird der Puls beim Pferd an der Arteria carotis am Hals und beim Hund an der Arteria femoralis an der Innenseite der Oberschenkel getastet. Alternativ kann der Puls beim Pferd auch an der A. transversa faciei, am Kopf, getastet werden.

Die Pulsdiagnostik an der Arteria carotis
Fazit: Symptombekämpfung – westlich und östlich
Man kann auch „einfach“ Akupunkturpunkte oder Kräuterrezepturen nach westlicher Diagnose auswählen, wobei das in akuten Fällen oft auch erst einmal gut funktionieren kann. Aber das wäre das Gleiche, als ob bei einer Lahmheit immer wieder nur Schmerzmittel verabreicht werden, ohne nach der Ursache der Lahmheit zu schauen. Mit „Rezeptakupunktur“ würden immer nur die westlichen Symptome behandelt werden und die eigentliche Ursache bliebe unbehandelt. Aus diesem Grund wirkt so eine Akupunktur, bei der immer wieder nur dieselben Punkte genadelt werden, wenn überhaupt, meist nur kurzfristig.
Mit Hilfe einer TCM-Diagnose kann man deshalb das genaue Krankheitsbild aufdecken und gezielt behandeln, damit man langfristig eine Heilung erzielen kann. Allerdings sind auch der TCM Grenzen gesetzt, denn es heißt:
„Akupunktur kann heilen, was gestört ist, aber nicht, was zerstört ist!“
Mehr Fachwissen zum Thema findet man auch in Stephanie Reinekes Büchern, die im Crystal-Verlag erschienen sind:
- TCM-Diagnostik für Pferde - 7. März 2025