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Wie realistische Einschätzung aus Herausforderungen wertvolle Erfahrungen macht

Das Wichtigste in Kürze

  • Geländearbeit bietet einzigartige Chancen für körperliche und mentale Entwicklung, birgt aber auch spezifische Risiken
  • Abwechslung, Naturerlebnis und gelenkschonende Bewegung stehen Gefahren durch Wildtiere, schwieriges Gelände und Verkehr gegenüber
  • Rechtliche Aspekte wie Haftpflicht und Reitwegeordnung erfordern vorab Information und Absicherung
  • Verantwortlicher Umgang mit Mensch, Pferd und Umwelt ist Grundvoraussetzung für nachhaltiges Geländereiten
  • Eine durchdachte „Go oder No-Go“ Checkliste hilft bei der Risikoeinschätzung
  • Gute Vorbereitung und realistische Einschätzung verwandeln potenzielle Risiken in bereichernde Erfahrungen
  • Das Gleichgewicht zwischen Chancen nutzen und Risiken minimieren ist der Schlüssel zum erfolgreichen Geländereiten

Wo Chance und Herausforderung aufeinandertreffen

Geländearbeit mit Pferden ist nie nur schwarz oder weiß – sie bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen enormen Chancen und realen Risiken. Diese Ambivalenz macht sie sowohl reizvoll als auch anspruchsvoll. Der Schlüssel liegt darin, beide Seiten realistisch zu betrachten und ein ausgewogenes Verhältnis zu finden.

Viele Reiter neigen zu extremen Positionen: Entweder sie verteufeln das Gelände als zu gefährlich und bleiben sicherheitshalber in der Halle, oder sie unterschätzen die Risiken und geraten in gefährliche Situationen. Beide Ansätze werden der Komplexität der Geländearbeit nicht gerecht. Die Realität liegt dazwischen: Geländearbeit bietet unschätzbare Vorteile für Pferd und Reiter, erfordert aber gleichzeitig erhöhte Aufmerksamkeit, bessere Vorbereitung und realistische Risikoeinschätzung. Diese Balance zu finden ist eine Kunst, die sich durch Erfahrung und bewusste Auseinandersetzung mit beiden Seiten entwickelt.

Wer sich dieser Ambivalenz bewusst ist und entsprechend handelt, kann die enormen Chancen der Geländearbeit nutzen, ohne unnötige Risiken einzugehen. Das Ziel ist nicht die Eliminierung aller Gefahren – das wäre unmöglich – sondern deren intelligente Minimierung bei gleichzeitiger Maximierung der positiven Effekte.

Die vielfältigen Vorteile systematisch nutzen

Die Chancen der Geländearbeit sind so vielfältig wie beeindruckend und rechtfertigen den zusätzlichen Aufwand bei der Vorbereitung. Abwechslung steht dabei an erster Stelle: Während das Training in der Halle oder auf dem Platz schnell monoton werden kann, bietet das Gelände ständig neue Herausforderungen und Erlebnisse. Das intensive Naturerlebnis wirkt sich positiv auf die Psyche von Pferd und Reiter aus. Die frische Luft, wechselnde Landschaften und natürliche Geräusche schaffen eine Atmosphäre, die in geschlossenen Räumen nicht zu erreichen ist. Dieser Tapetenwechsel kann wahre Wunder für die Motivation bewirken – nicht nur für das Pferd, sondern auch für den Menschen nach einem anstrengenden Arbeitstag.

Aus biomechanischer Sicht bietet das Gelände unschätzbare Vorteile. Unebene Böden, natürliche Steigungen und wechselnde Untergründe sorgen für eine gelenkschonende, vielseitige Belastung. Die Muskulatur wird funktioneller trainiert als auf ebenem Hallenboden, und die Propriozeption entwickelt sich durch die ständigen Anpassungen optimal. Die mentale Erholung ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Pferde, die regelmäßig ins Gelände kommen, zeigen oft eine ausgeglichenere Grundstimmung und bessere Arbeitsbereitschaft. Der Stressabbau durch die natürliche Umgebung kompensiert die Belastungen des strukturierten Trainings und trägt zum psychischen Wohlbefinden bei.

Risiken realistisch einschätzen ohne Panikmache

Die Risiken der Geländearbeit zu benennen bedeutet nicht, sie zu dramatisieren, sondern sie bewusst wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Wildtiere stellen dabei eine oft unterschätzte Gefahr dar. Rehe, die plötzlich aus dem Dickicht springen, Wildschweine mit Frischlingen oder aggressive Hunde können unvorhersehbare Reaktionen beim Pferd auslösen.

Schwierige Bodenverhältnisse sind eine weitere Herausforderung. Rutschige Wege nach Regen, unübersichtliche Löcher oder instabile Untergründe können zu Stürzen führen. Die Einschätzung der Tragfähigkeit verschiedener Böden erfordert Erfahrung und kann sich je nach Wetter und Jahreszeit drastisch ändern.

Der Verkehr bleibt eines der größten Risiken bei der Geländearbeit. Auch auf wenig befahrenen Wegen können Fahrzeuge auftauchen, und nicht alle Autofahrer oder Radfahrer verhalten sich rücksichtsvoll gegenüber Reitern. Gutes Verkehrssicherheitstraining sowie Anti-Schreck-Training für Pferd und Reiter minimieren aber das Risiko.

Allergene in der Natur können sowohl Pferd als auch Reiter betreffen. Pollen, bestimmte Pflanzen oder Insektenstiche können allergische Reaktionen auslösen. Besonders bei empfindlichen Pferden sollten entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.

Rechtliche Absicherung und Verantwortung

Die rechtlichen Aspekte der Geländearbeit sind komplex und regional unterschiedlich, aber von entscheidender Bedeutung für jeden Reiter. Eine ausreichende Haftpflichtversicherung ist dabei das absolute Minimum. Sie sollte nicht nur Schäden an Dritten abdecken, sondern auch Situationen berücksichtigen, die spezifisch beim Geländereiten auftreten können. Hier ist auch darauf zu achten, dass die Haftpflichtversicherung wirklich greift, denn manche schließen beispielsweise das gebisslose Reiten oder das Reiten ohne Sattel aus. Eine entsprechend passende Versicherung kann im Schadensfall entscheidend sein. Für Reiter empfiehlt sich außerdem eine Unfallversicherung – nur für den Fall der Fälle.

Die Reitwegeordnung variiert stark zwischen verschiedenen Ländern, Bundesländern und Gemeinden. Was in einer Region erlaubt ist, kann in einer anderen verboten sein. Sich vorab über die örtlichen Bestimmungen zu informieren ist nicht nur rechtlich geboten, sondern auch ein Zeichen des Respekts gegenüber anderen Naturnutzern. Wo es in einigen Regionen üblich ist, dass sich Wanderer, Radfahrer und Reiter einen Weg teilen, gilt in anderen Regionen strikte Reitwege-Pflicht.

Das regionale Betretungsrecht kann sich je nach Jahreszeit ändern. Brutzeiten, Jagdzeiten oder besondere Schutzbestimmungen können bestimmte Gebiete temporär für Reiter sperren. Diese Regelungen dienen dem Naturschutz und sollten unbedingt beachtet werden.

Reitwegschild im Wald
© Adobe Stock / Janina_PLD

Verantwortung für alle Beteiligten

Verantwortliches Geländereiten bedeutet, die Bedürfnisse und Sicherheit aller Beteiligten im Blick zu behalten. Rücksicht auf andere Naturnutzer wie Spaziergänger, Jogger oder Radfahrer ist dabei selbstverständlich. Freundliches Grüßen, angemessenes Tempo und das Gewähren von Vorrang schaffen eine positive Atmosphäre. Selbst ein Reiter, der keine Angst vor Pferden hat, möchte nicht vom Dreck einer vorbeipreschenden Gruppe beworfen werden oder in einer Staubwolke zurückbleiben. Pferde sind überaus große Tiere und machen vielen nicht-Pferdeleuten Angst. Daher sollte man sich schon aus Höflichkeit als Reiter immer ruhig und defensiv verhalten und im Zweifelsfall immer ausweichen, im Schritt vorbeireiten oder gegebenenfalls auch absteigen und das Pferd vorbeiführen, wenn man merkt, dass die Mitmenschen unsicher sind oder Angst haben.

Die Verantwortung für das eigene Pferd umfasst nicht nur die unmittelbare Sicherheit, sondern auch die langfristige Gesundheit. Überforderung zu vermeiden, auf Warnsignale zu achten und das Training an die individuellen Bedürfnisse anzupassen sind wichtige Aspekte verantwortlichen Handelns. Sein Pferd drei Wochen lang gar nicht zu sehen, um dann einen vierstündigen Ausritt in flottem Tempo zu machen, ist der Garant für Gesundheitsprobleme. Wer gerne lange ausreitet, sollte sein Pferd entsprechend in der Kondition halten, damit es diese langen Ritte auch unbeschadet überstehen kann.

Der Umweltschutz sollte beim Geländereiten immer mitgedacht werden. Keine Schäden an der Vegetation zu hinterlassen, Müll mitzunehmen und empfindliche Bereiche zu meiden trägt dazu bei, dass Wege auch in Zukunft zugänglich bleiben. Jeder Reiter ist ein Botschafter seines Sports.

Die Vorbildfunktion für andere Reiter, besonders für Anfänger, ist nicht zu unterschätzen. Verantwortliches Verhalten färbt ab und trägt zur positiven Entwicklung der gesamten Reitergemeinschaft bei. Negative Erfahrungen durch rücksichtsloses Verhalten einzelner können dagegen langfristig allen schaden. Die Einführung von ausgewiesenen Reitwegen ist in vielen Region das Ergebnis einzelner rücksichtsloser Reiter in der Vergangenheit.

Die tagesaktuelle Risikobeurteilung

Eine durchdachte Checkliste für die tagesaktuelle Einschätzung hilft dabei, die richtige Entscheidung zwischen „Go“ und „No-Go“ zu treffen. Das Wetter steht dabei oft an erster Stelle: Starker Wind, Gewitter oder extreme Temperaturen können das Risiko erheblich erhöhen und sollten zur Verschiebung der Geländeaktivität führen. Pferde sind zwar nicht aus Zuckerguss und ihnen macht ein lauer Sommerregen nichts aus, aber Sturm oder Gewitter mit herabfallenden Ästen, umstürzenden Bäumen oder Blitzeinschlag auf offenen Flächen gehören zu den vermeidbaren Risiken.

Der Gesundheitszustand von Pferd und Reiter ist ein weiterer kritischer Faktor. Ein lahmes Pferd hat im Gelände nichts verloren, und auch der Reiter sollte körperlich fit und konzentrationsfähig sein. Müdigkeit, Stress oder gesundheitliche Probleme erhöhen das Unfallrisiko erheblich. Denn auch die mentale Tagesform beider Partner spielt eine wichtige Rolle. Ein nervöses, unaufmerksames Pferd oder ein gestresster, unkonzentrierter Reiter sollten nicht ins Gelände. Die ehrliche Selbsteinschätzung kann vor gefährlichen Situationen bewahren.

Auch äußere Umstände wie Baustellen, Veranstaltungen oder ungewöhnlich viel Verkehr aufgrund einer Umleitung können ein Grund sein, die geplante Route zu ändern oder den Ausflug zu verschieben. Flexibilität und die Bereitschaft, auch mal „Nein“ zu sagen, sind Zeichen von Verantwortung, nicht von Schwäche.

Aus Risiko wird Bereicherung durch kluge Vorbereitung

Die Kunst des erfolgreichen Geländereitens liegt darin, die Balance zwischen Chancen und Risiken zu finden. Weder blinde Risikobereitschaft noch übertriebene Ängstlichkeit führen zum Ziel. Stattdessen schafft die realistische Einschätzung beider Seiten die Grundlage für bereichernde Erfahrungen.

Die Chancen der Geländearbeit sind zu wertvoll, um sie aus Angst vor den Risiken zu verschenken. Gleichzeitig sind die Risiken zu real, um sie zu ignorieren. Das bewusste Navigieren zwischen beiden Polen macht den verantwortlichen, erfolgreichen Geländereiter aus und öffnet die Tür zu einer neuen Dimension des Reitens.

Team Sanoanimal