Lesedauer 11 Minuten  

Von der Bestandsaufnahme bis zur Traumhaltung – ein praktischer Leitfaden für Verbesserungen

Das Wichtigste in Kürze:

  • Jede Verbesserung beginnt mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme der aktuellen Situation
  • Kleine, durchdachte Schritte sind oft effektiver als radikale Veränderungen
  • Die Umstellung von Box auf Offenstall erfordert Geduld und kann Monate dauern
  • Beim Stallwechsel sollten Haltungsbedingungen wichtiger sein als Preis oder Standort
  • Auch bei begrenztem Budget sind deutliche Verbesserungen möglich
  • Kompromisse zwischen Ideal und Realität sind normal und oft der beste Weg

Bestandsaufnahme: Ehrlich hinschauen

Jede Verbesserung beginnt mit einer schonungslosen Analyse der aktuellen Situation. Dieser erste Schritt ist oft der schwerste, weil er bedeutet, liebgewonnene Gewohnheiten und möglicherweise auch Selbsttäuschungen zu hinterfragen.

Erfüllt die aktuelle Haltung die Grundbedürfnisse des Pferdes nach Bewegung, Sozialkontakt und artgerechter Fütterung? Wie viele Stunden täglich kann sich das Pferd frei bewegen? Hat es Sichtkontakt zu anderen Pferden, idealerweise auch Berührungskontakt ohne Zaun dazwischen? Entstehen bei der Raufutterfütterung Fresspausen?

Diese Fragen sollten ehrlich und ohne Beschönigungen beantwortet werden. Ein Paddock von 50 Quadratmetern ist kein echter Auslauf, und Sichtkontakt durch ein Boxengitter oder über einen Elektrozaun ist nicht dasselbe wie echte soziale Interaktion.

Probleme identifizieren

Der nächste Schritt ist die Identifikation konkreter Probleme. Zeigt das Pferd Verhaltensstörungen wie Weben oder Koppen? Ist es häufig krank oder verletzt? Wirkt es gestresst, depressiv oder aggressiv? Diese Symptome können Hinweise auf Haltungsprobleme sein.

Auch die eigene Zufriedenheit sollte hinterfragt werden. Macht die aktuelle Situation Freude oder ist sie vor allem stressig oder teuer? Eine gute Haltung sollte für alle Beteiligten funktionieren – für das Pferd, den Besitzer und den Stallbetreiber. Die schönste Haltung funktioniert nicht, wenn der Stallbetreiber die Arbeit nicht schafft. Und eine schlechte Haltung bringt nichts, wenn das Pferd dauernd krank ist und der Besitzer in Tierarztrechnungen versinkt.

Ziele definieren

Basierend auf der Analyse sollten klare Ziele definiert werden. Was soll verbessert werden? Mehr Bewegung? Besserer Sozialkontakt? Gesündere Fütterung? Konkrete, messbare Ziele helfen bei der Planung der nächsten Schritte. Die nächste Frage ist: was der Ziele lässt sich mit welchem Aufwand umsetzen? Je nach baulichen Gegebenheiten kann vielleicht der Boxenstall zu einem Offenstall werden. Oder der Boxenstall bleibt, wie er ist und opfert dafür ein Stück der Weide, um dort einen großzügigen Auslauf oder Paddock Trail anzulegen, der später um einen Offenstall erweitert werden kann, wenn die finanziellen Mittel es erlauben.

Dabei sollten die Ziele realistisch bleiben. Der Sprung von der 23-Stunden-Box zum kompletten Offenstall oder Ganzjahresweide ist meist nicht machbar und oft auch nicht sinnvoll. Realistische Zwischenziele führen eher zum Erfolg.

Kleine Schritte, große Wirkung

Viele Verbesserungen kosten wenig Geld und können sofort umgesetzt werden. Häufigere, kleinere Kraftfuttergaben statt zwei großer Mahlzeiten entlasten bereits das Verdauungssystem. Individuelle Zufütterung mit Futterbeuteln ermöglichen stresslos und mit wenig Aufwand auch die Kraftfuttergabe im Offenstall oder auf dem Tagesauslauf.

Heunetze verlängern die Fresszeit und reduzieren Langeweile. Heuraufen mit Ballenbestückung und Netz reduzieren die Arbeitsleistung für die Fütterung, sodass seltener Heu gefahren werden muss. Wenn alle Einsteller mit anpacken und einen Plan machen, dass jeder reihum einen Tag lang Heunetze stopft, die auf dem Auslauf verteilt werden, ist das eine kurze Investition der eigenen Freizeit, aber eine große Entlastung für den Stallbetreiber und ein Baustein mehr, um Futterpausen zu vermeiden. Ein Salzleckstein bietet zusätzlichen Bewegungsanreiz, ebenso wie Knabberäste auf dem Auslauf.

Auslauf optimieren

Wenn täglich Auslauf bereits möglich ist, kann dieser oft ohne zusätzliche Kosten verlängert werden. Sechs Stunden sind besser als drei, zwölf Stunden besser als sechs. Sind längere Auslaufzeiten aufgrund der Arbeitszeiten des Stallpersonals nicht möglich, kann auch hier eine Lösung gefunden werden, wenn jeder mal „Stalldienst“ macht und abends alle Pferde reinbringt. Auch hier gilt: ein kleiner Aufwand für den Einzelnen, aber ein großer Zuwachs an Lebensqualität für die Pferde.

Man kann auch überlegen, ein Stallzelt als Unterstand auf den Auslauf zu stellen und die Pferde dann – beispielsweise über den Sommer – komplett draußen zu lassen und erst mit Beginn der nasskalten Jahreszeit wieder aufzustallen.

Auch die Qualität des Auslaufs lässt sich meist verbessern: Ein großer Paddock ist besser als ein kleiner, ein Trail besser als ein rechteckiger Auslauf. Gesellschaft ist besser als Einzelauslauf, selbst bei schwierigen Pferden lässt sich oft zumindest ein guter Freund finden, mit dem sie zusammen oder wenigstens Zaun an Zaun stehen können.

Die Macht der kleinen Veränderungen

Oft unterschätzen Pferdebesitzer die Wirkung kleiner Verbesserungen. Ein Heunetz kann die Fresszeit von einer auf vier Stunden verlängern, ohne dass das Pferd „mehr“ frisst. Ein offenes Gitter zur Nachbarbox ermöglicht zumindest Sichtkontakt. Der Tausch unverträglicher Boxennachbarn in der Art, dass immer Pferde nebeneinandergestellt werden, die sich gut verstehen, reduziert Stress ganz enorm. Diese „Kleinigkeiten“ können für das Pferd den Unterschied zwischen Dauerstress und Wohlbefinden bedeuten. Der Vorteil: Sie sind schnell umsetzbar und zeigen rasch Wirkung, was motiviert für weitere Schritte.

Die große Umstellung: Von Box zu Offenstall

Ist mein Pferd geeignet?

Nicht jedes Pferd eignet sich für jeden Umstellungsprozess. Sehr alte, kranke oder extrem unverträgliche Pferde können manchmal besser in angepasster Einzelhaltung leben oder einer Kombination aus zeitweise Gruppe, aber z.B. über Nacht Einzelhaltung. Die meisten Pferde profitieren von mehr Bewegung und Sozialkontakt, manche brauchen aber ihre Rückzugsmöglichkeiten.

Besonders Pferde aus langjähriger Boxenhaltung müssen die Gruppenhaltung erst wieder lernen. Sie haben oft vergessen, wie Herdenverhalten funktioniert, und brauchen geduldige Eingewöhnung. In vielen Fällen ist die Kombination aus tagsüber Gruppenauslauf und nachts Box die beste Wahl. Sie können den Sozialstress des Tages besser verarbeiten, wenn sie nachts in der gewohnten Einzelbox stehen.

Pferde Re-Sozialisieren

Eine Umstellung von reiner Boxen-Einzelhaltung, hin zu Offenstallhaltung, sollte immer schrittweise erfolgen. Zunächst kann das Pferd stundenweise mit einem ruhigen Partner zusammen auf einen größeren Paddock. Wenn das funktioniert, können weitere Pferde dazukommen und die Zeit verlängert werden. Wichtig ist die Beobachtung: Wie reagiert das Pferd auf die neue Situation? Ist es gestresst oder entspannt? Frisst es normal? Zeigt es Interesse an den anderen Pferden, separiert es sich gezielt, zeigt es Aggression oder Angst? Diese Signale bestimmen das Tempo der weiteren Umstellung.

Nicht jede Umstellung verläuft reibungslos. Rangkämpfe, kleinere Verletzungen oder Stress sind normal und kein Grund aufzugeben. Wichtig ist, zwischen normalen Anpassungsproblemen und ernsten Schwierigkeiten zu unterscheiden. Bei ernsteren Problemen sollte ein Schritt zurück gemacht werden. Lieber langsamer zum Ziel als durch Überforderung das Vertrauen des Pferdes zu verlieren.

Und in einigen Fällen sollte man sich eingestehen, dass das Pferde vielleicht nie in einem Offenstall glücklich wird und eine passende (und im Rahmen der Möglichkeiten artgerechte) Lösung finden, z.B. in Form von einer Box mit eigenem, großen Paddock, von wo aus andere Pferde in Sichtweite sind.

Erfolg messen

Der Erfolg einer Umstellung der Haltungsbedingungen zeigt sich meist nicht sofort. Viele positive Veränderungen werden erst nach Wochen oder Monaten sichtbar. Ein entspannterer Gesichtsausdruck, bessere Kondition oder das Verschwinden von Verhaltensstörungen sind Zeichen für gelungene Umstellung.

Stallwechsel: Die große Chance

Ein Stallwechsel bietet die Chance für einen Neuanfang. Dabei sollten die Haltungsbedingungen wichtiger sein als Preis oder Entfernung. Ein Stall, der 20 Minuten weiter weg ist, aber deutlich bessere Bedingungen bietet, ist meist die bessere Wahl. Wenn man nicht jeden Abend zum Pferd fahren muss, weil sonst wieder die nächste Tierarztrechnung winkt, sondern zum Pferd fahren kann, weil man weiß, dass es gut versorgt ist, spart das nicht nur Nerven, sondern auch bares Geld, das man in den besseren Stall und die etwas höheren Spritkosten pro Fahrt investieren kann.

Den richtigen Stall finden

Bei der Stallsuche sollten nicht nur die Webseite oder das Facebook Profil, sondern die tatsächlichen Bedingungen bewertet werden. Wie sehen die Pferde aus? Wirken sie entspannt und gesund? Wie ist die Atmosphäre im Stall? Fühlen sich Besitzer und Pferde wohl? Wie verhalten sich die Pferde, wenn die Heuraufen gefüllt werden? Aggression zur Futterzeit deutet auf Raufutterpausen hin.

Ein guter Indikator ist auch die Fluktuation: Ställe mit ständig wechselnden Einstellern haben meist Probleme. Ställe, in denen Pferde jahrelang bleiben, machen wahrscheinlich vieles richtig. Als kleine Hilfestellung haben wir hier eine Checkliste für die Stallsuche zusammengestellt.

Seriöse Stallbetreiber bieten außerdem eine Probezeit an. Diese sollte genutzt werden, um zu prüfen, ob Pferd und Besitzer sich in der neuen Umgebung wohlfühlen. Erste Eindrücke können täuschen – sowohl positiv als auch negativ. Aber innerhalb der ersten zwei Wochen, die das neue Pferde ohnehin erst im Eingewöhnungsbereich verbringt, bekommt man ein gutes Gefühl, ob man bleiben möchte oder nicht.

Auch im neuen Stall braucht das Pferd Zeit zur Eingewöhnung. Neue Herde, neue Routinen und neue Umgebung bedeuten Stress. Geduld und aufmerksame Beobachtung sind in den ersten Wochen besonders wichtig.

Der beste Stall ist nicht der billigste oder nächstgelegene, sondern der, in dem sich das Pferd wohlfühlt.

Kreative Lösungen entwickeln

Manchmal erfordern besondere Situationen besondere Lösungen. Nicht jedes Problem lässt sich mit Standardlösungen beheben. Eigene Ideen, Experimente und Anpassungen können zum Erfolg führen. Wichtig ist dabei, die Sicherheit nicht zu vernachlässigen. Alle Veränderungen sollten durchdacht und getestet werden, bevor sie dauerhaft implementiert werden.

Der Austausch mit anderen Pferdebesitzern kann wertvolle Anregungen liefern. Stallgemeinschaften, Internetforen oder Fachzeitschriften bieten Inspiration für eigene Verbesserungen. Auch Betriebsbesichtigungen können hilfreich sein. Viele innovative Stallbetreiber zeigen gerne ihre Lösungen und erklären die Hintergründe.

Nicht alle Verbesserungsversuche werden erfolgreich sein. Fehlschläge sind normal und gehören zum Lernprozess dazu. Wichtig ist, aus Fehlern zu lernen und nicht aufzugeben.

Kompromisse eingehen

Die perfekte Haltung gibt es nur in der Theorie. In der Praxis müssen immer Kompromisse eingegangen werden zwischen verschiedenen Anforderungen und Bedürfnissen, Budget und örtlichen Gegebenheiten und Vorschriften. Diese Kompromisse sollten bewusst und durchdacht sein. Ein durchdachter Kompromiss, der die wichtigsten Bedürfnisse erfüllt, ist oft besser als eine halbherzige „Ideallösung“.

Oft ist es besser, 80 Prozent der Wünsche zu erfüllen als jahrelang auf die 100-Prozent-Lösung zu warten. Diese 80 Prozent können bereits eine dramatische Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation bedeuten.

Bedürfnisse ändern sich außerdem mit der Zeit. Ein junges Pferd hat andere Anforderungen als ein Senior, ein gesundes andere als ein krankes. Gute Haltungssysteme sind flexibel und können angepasst werden, sodass eine Krankheit oder der Eintritt ins Rentneralter keinen Stallwechsel erfordern.

Pferd mit einem Heunetz auf Weide
Manchmal sind kleine Verbesserungen schon ein größerer Fortschritt als gar keine
© Adobe Stock / anjajuli

Budget clever einsetzen

Wenn das Budget begrenzt ist, sollten die wichtigsten Verbesserungen zuerst angegangen werden. Bewegungsfreiheit ist meist wichtiger als luxuriöse Ausstattung, Sozialkontakt wichtiger als teure Technik. Gebrauchte Materialien können erheblich Kosten sparen, ohne die Qualität zu beeinträchtigen. Zaunmaterial, Tore oder sogar ganze Unterstände sind oft günstig zu bekommen, häufig kostenlos gegen Abbau und Abholung.

Viele Verbesserungen lassen sich in Eigenleistung umsetzen. Paddocks können selbst eingezäunt, einfache Unterstände selbst gebaut werden. Diese Eigenleistung spart Geld und schafft oft bessere Lösungen als Standardprodukte. Geht man solche Projekte als Stallgemeinschaft zusammen an, dann fördert das nicht nur den Zusammenhalt unter allen Einstellern, sondern sorgt meist auch für einen sorgfältigeren Umgang mit den Einrichtungen, da man aus eigener Erfahrung weiß, wie viel Arbeit in diesem Zaun oder jenem Unterstand stecken.

Manchmal können sich mehrere Pferdebesitzer zusammenschließen und gemeinsam investieren. Paddockplatten zur Befestigung des Auslaufs zumindest rund um die Raufen, Frostschutz-Magnesium für den Reitplatz oder Roundpen oder ein zweiter Zaun, damit aus dem Auslauf ein Paddock Trail wird: Manche Einrichtungen lassen sich so finanzieren, die für den Stallbetreiber momentan unbezahlbar wären.

Geduld und Durchhaltevermögen

Sowohl bauliche Veränderungen als auch die Gewöhnung der Pferde brauchen Zeit. Wochen oder Monate können vergehen, bis sich die Vorteile einer Verbesserung zeigen. Diese Geduld ist wichtig für den langfristigen Erfolg. Nicht jeder Tag wird besser sein als der vorherige. Kleine Rückschläge und Anpassungsprobleme sind normal und kein Grund zur Panik. Wichtig ist der Gesamttrend über Wochen und Monate.

Der Weg zur optimalen Haltung kann lang und manchmal frustrierend sein und ja, auch den einen oder anderen Stallwechsel mit sich bringen. Wichtig ist, die Motivation zu erhalten und sich auch über kleine Fortschritte zu freuen. Jede Verbesserung zählt und bringt dem Ziel näher: dem Pferd ein artgerechtes Leben zu ermöglichen.

Der Weg ist das Ziel

Die optimale Pferdehaltung ist kein festes Ziel, das einmal erreicht wird und dann erledigt ist. Sie ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozess der Verbesserung und Anpassung. Jede Situation ist anders, jedes Pferd hat andere Bedürfnisse, und auch diese ändern sich mit der Zeit.

Der wichtigste Schritt ist der erste: Die ehrliche Bestandsaufnahme und der Entschluss zur Verbesserung. Danach folgt die vielen Schritte der kleinen Verbesserungen. Sie summieren sich zu großen Veränderungen, und aus Problemen werden Lösungen.

Perfektion ist nicht das Ziel – Verbesserung ist es. Jeder Schritt in Richtung artgerechter Haltung ist wertvoll und macht das Leben für Pferd und Besitzer besser. Der Weg zur optimalen Haltung ist lang, aber jeder Schritt lohnt sich.

Die Belohnung sind gesunde, zufriedene Pferde, die ihr natürliches Verhalten zeigen können und ein Leben führen, das ihrer Natur entspricht. Und das ist alle Anstrengung wert.

Team Sanoanimal