Lesedauer 5 Minuten  

Kernpunkte im Überblick:

  • Komplexe Aufgaben müssen in Einzelschritte zerlegt werden
  • Jeder Teilschritt wird separat trainiert und gefestigt
  • Die Kriterien werden schrittweise erhöht
  • Die Einzelteile werden allmählich verkettet
  • Geduld und präzises Timing sind entscheidend

Die Kunst des Shapings

Einem Pferd beizubringen, dass es bitte den Kopf senken soll, wenn man ihm das Halfter anziehen möchte, gehört zu den relativ einfachen Aufgaben, die man schnell durch positive Verstärkung und richtiges Timing hinbekommt. Mit Clickertraining kann man jedoch auch überaus komplexe Aufgaben trainieren – wenn man sie nur in ausreichend kleine Schritte aufteilt. Nehmen wir als Beispiel das „Apportieren“ eines Futtertrogs. Es ist eine komplexe Aufgabe, die aus vielen Einzelhandlungen besteht. Für uns Menschen erscheint sie wie eine einzige Aktion: „Bring mir den Trog.“ Für das Training müssen wir sie jedoch in ihre Grundbausteine zerlegen und Schritt für Schritt aufbauen. Dieser Prozess wird als „Shaping“ bezeichnet – das schrittweise Formen des gewünschten Verhaltens.

Die Voraussetzungen

Bevor wir mit dem eigentlichen Training beginnen, muss das Pferd:

  • Den Click sicher als Markersignal verstehen (Clickertraining verstehen)
  • Grundlegende Clickerregeln kennen (nicht betteln, nicht drängeln)
  • Neugierig und motiviert sein
  • Vertrauensvoll mit uns zusammenarbeiten

Der Trainingsplan

Am besten führt man solche Lernübungen in einer ruhigen Umgebung aus, beispielsweise einem Roundpen oder auf dem ansonsten leeren Reitplatz. Versucht man das auf dem Auslauf, lenken die anderen Pferde unseren Schüler ab. Dasselbe gilt, wenn Pferde gleichzeitig auf dem Reitplatz geritten oder longiert werden. Je weniger Ablenkungen von außen, umso besser kann sich unser Pferd konzentrieren und desto schneller sehen wir den Lernerfolg.

Phase 1: Interesse am Objekt wecken

Zunächst muss der Futtertrog für das Pferd zu einem interessanten Gegenstand werden. „Click“ steht im Folgenden immer für „Clickern und Belohnen“, wir haben das für die bessere Lesbarkeit abgekürzt. Wir beginnen mit:

  • Click für Blicke zum Trog
  • Click für Schritte in Richtung Trog
  • Click für Nase Richtung Trog
  • Click für jede Berührung des Trogs

Wichtig in dieser Phase: Das Pferd soll lernen, dass Interaktion mit dem Trog zu positiven Konsequenzen führt. Wir clickern anfangs sehr großzügig jedes Interesse am Objekt.

Phase 2: Gezielte Manipulation

Nachdem das Pferd verstanden hat, dass der Trog interessant ist, fördern wir aktives Verhalten:

  • Click für Stupsen des Trogs mit der Nase
  • Click für stärkeres Stupsen, das den Trog bewegt
  • Click für Berührungen mit den Lippen
  • Click für Öffnen des Mauls am Trog

In dieser Phase achten wir darauf, dass das Pferd aktiver wird und verschiedene Verhaltensweisen ausprobiert. Wir warten jeweils ab, bis ein Verhalten sicher angeboten wird, bevor wir die Kriterien erhöhen.

Phase 3: Den Trog bewegen

Jetzt wird es spannend – der Trog soll bewegt werden:

  • Click für Anheben des Trograndes mit den Lippen
  • Click für längeres Festhalten
  • Click für erste kleine Bewegungen des Trogs
  • Click für gezieltere Bewegungen in eine Richtung

Dies ist oft die herausforderndste Phase. Manche Pferde probieren schnell verschiedene Möglichkeiten aus, andere brauchen mehr Ermutigung. Wichtig ist, jeden noch so kleinen Fortschritt positiv zu markieren.

Phase 4: Transport lernen

Wenn das Pferd den Trog sicher aufnehmen kann:

  • Click für einen Schritt mit dem Trog
  • Click für mehrere Schritte
  • Click für Richtungsänderungen
  • Click für das Tragen zu einem bestimmten Punkt

Das Tragen über längere Strecken entwickelt sich meist von selbst, wenn die vorherigen Phasen gut gefestigt sind.

Phase 5: Übergabe etablieren

Der letzte Schritt ist die gezielte Übergabe:

  • Click für das Herantragen in unsere Nähe
  • Click für das Absetzen vor uns
  • Click für sauberes Loslassen
  • Click für die komplette Sequenz

Phase 6: Von der Übung zum verlässlichen Verhalten

Wenn alle Einzelteile stabil funktionieren, kann die Übung in verschiedenen Situationen gefestigt werden:

  • Unterschiedliche Startpositionen des Trogs
  • Verschiedene Entfernungen
  • Unterschiedliche Umgebungen
  • Ablenkungen einbauen
Pferd frisst aus einer Schüssel am Boden
Mit Clickertraining kann man so manches Problem lösen oder tolle Tricks lernen © Adobe Stock / zanna_

Tipps für erfolgreiches Training

Das richtige Timing

Bei komplexen Aufgaben ist das Timing besonders wichtig:

  • Exakt den richtigen Moment markieren
  • Nicht zu lange auf Verbesserungen warten
  • Lieber häufiger clicken als zu selten
  • Bei Unsicherheit einen Schritt zurückgehen

Motivationsmanagement

Um die Motivation über komplexe Aufgabenstellungen zu erhalten:

  • Nie versuchen, die ganze Sequenz an einem Tag trainieren zu wollen
  • Kurze, erfolgreiche Trainingseinheiten
  • Zwischen den Phasen wechseln
  • Erfolge ausgiebig feiern
  • Bei nachlassender Motivation pausieren

Häufige Herausforderungen bei komplexen Aufgabenstellungen

Das Pferd verliert das Interesse

  • Zu den erfolgreichen vorherigen Schritten zurückkehren
  • Kriterien vorübergehend senken
  • Belohnungsqualität überprüfen
  • Regelmäßig „Jackpot“ Leckerlis einbauen
  • Trainingseinheiten kürzer gestalten

Frustration beim Pferd

  • Mit kurzen, einfachen Aufgaben anfangen
  • Sofort zu einer leichteren Übung zurückgehen
  • Erfolgsmomente schaffen
  • Zwischenziele neu definieren
  • Geduldig bleiben

Der praktische Nutzen

Was zunächst wie eine reine „Zirkusnummer“ erscheint, hat durchaus praktischen Nutzen:

  • Das Pferd lernt, Gegenstände kontrolliert zu bewegen
  • Es entwickelt Problemlösungsstrategien
  • Die Zusammenarbeit mit dem Menschen wird gestärkt
  • Komplexe Handlungsketten werden verständlich

Diese Fähigkeiten übertragen sich auch auf andere Trainingsbereiche und machen das Pferd zu einem aktiveren, mitdenkenden Partner.

Es ist spannend, die Entwicklung des Pferdes zu beobachten, wenn man mit ganz einfachen Übungen beginnt und die Komplexität langsam steigert. So kann man schon bei einem jungen Pferd das Hufe-Geben ganz einfach mit Clickertraining üben. Haben Pferde einmal das Grundprinzip verstanden, sind die meisten Pferde überaus motiviert, sich auch an schwierigere Aufgaben heranzuwagen.

Das Training komplexer Aufgaben mit Clickertraining zeigt eindrucksvoll, wozu Pferde in der Lage sind, wenn wir ihnen die Aufgaben in verdaulichen Schritten präsentieren. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der sorgfältigen Planung, präziser Markierung und geduldiger Entwicklung der einzelnen Trainingsschritte.


Mehr Informationen zum Thema Lernverhalten gibt es auf unserer Themenseite: Verhalten & Verhaltensauffälligkeiten

Team Sanoanimal