Brauchen Hengste wirklich eine andere Ernährung oder ist das nur ein Mythos?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Grundbedürfnisse von Hengsten, Wallachen und Stuten sind nahezu identisch
- Hormone beeinflussen den Stoffwechsel und Energieverbrauch nur geringfügig
- Saisonale Schwankungen im Frühjahr und zur Decksaison können Anpassungen erforderlich machen
- Stressbedingte Fütterungsprobleme sind bei Hengsten häufiger als echte nutritive Unterschiede
- Einzelfütterung und Ruhe beim Fressen sind wichtiger als spezielle Futtermittel
- Hohe Zucker- oder Stärkegehalte können bei Hengsten zu verstärkter Unruhe und Aggressivität führen, hohe Eiweißgehalte beeinflussen die Fruchtbarkeit negativ
Rund um die Fütterung von Hengsten kursieren viele Mythen und Halbwahrheiten. Dabei unterscheiden sich die nutritiven Bedürfnisse von Hengsten im Vergleich zu Wallachen oder Stuten weniger stark, als oft angenommen wird. Die meisten Unterschiede entstehen durch das Verhalten und die Lebensumstände der Hengste, nicht durch grundlegend andere Stoffwechselprozesse.
Anatomie und Verdauung sind identisch
Der Verdauungsapparat von Hengsten funktioniert genauso wie der von Wallachen oder Stuten. Magen, Dünndarm und Dickdarm arbeiten nach denselben Prinzipien, und auch die Enzymproduktion unterscheidet sich nicht. Die Grundbedürfnisse an Energie, Protein, Vitaminen und Mineralstoffen sind daher praktisch identisch.
Diese Tatsache wird oft übersehen, weil Hengste häufig anders auf Futter reagieren als Wallache; hohe Zucker- oder Stärkegehalte können beispielsweise schneller zu aggressivem Verhalten führen. Diese Reaktionen haben jedoch meist verhaltens- oder haltungsbedingte Ursachen (z.B. Bewegungsmangel durch Einzelhaltung, sodass die überschüssige Energie nicht durch Bewegung abgebaut werden kann) und sind nicht auf Unterschiede in Verdauung oder Stoffwechsel zurückzuführen. Ein entspannter Hengst in artgerechter Haltung hat dieselben Futterbedürfnisse wie ein Wallach gleicher Größe und Arbeitsbelastung.
Energiebedarf richtig einschätzen
Der oft zitierte höhere Energiebedarf von Hengsten ist ein weitverbreiteter Mythos. Tatsächlich brauchen Hengste nicht grundsätzlich mehr Energie als Wallache. Der scheinbar höhere Bedarf entsteht meist durch andere Faktoren: Hengste sind oft nervöser und unruhiger, was zu einem höheren Grundumsatz führen kann. Sie verbringen auf dem Paddock oft mehr Zeit mit Bewegung – vor allem wenn auch Stuten in der Umgebung stehen – und sind weniger entspannt als ruhige Wallache.
Diese Unruhe ist jedoch häufig ein Zeichen für suboptimale Haltungsbedingungen und nicht für einen natürlich höheren Energiebedarf. Ein Hengst, der ständig am Zaun auf und ab läuft, braucht tatsächlich mehr Energie – aber die Lösung liegt in der Verbesserung der Haltung, nicht in der Erhöhung der Futterration.
Einfluss der Hormone auf Energieverbrauch und Futterverwertung
Testosteron hat durchaus Einfluss auf den Stoffwechsel, aber weniger dramatisch als oft angenommen. Das Hormon fördert den Muskelaufbau und kann den Grundumsatz leicht erhöhen. Gleichzeitig verbessert es aber auch die Effizienz der Proteinverwertung. Diese Effekte gleichen sich größtenteils aus, sodass der Gesamtenergiebedarf nur minimal ansteigt.
Interessant ist, dass Hengste oft ein selektiveres Fressverhalten zeigen und wählerischer sind bei der Futteraufnahme. Sie reagieren stärker auf Futterwechsel und benötigen manchmal längere Umstellungsphasen als Wallache. Wie viel von diesem Verhalten aber tatsächlich auf die Hormone zurückzuführen sind oder inwieweit Magengeschwüre (durch nicht optimale Haltung, Bewegungsmangel oder andere Stressfaktoren) hier reinspielen, ist bisher nicht systematisch untersucht worden.
Hengste fressen beispielsweise oft hastiger und sind beim Fressen unaufmerksamer, weil sie ständig ihre Umgebung im Blick behalten. Diese Ablenkung kann zu Verdauungsproblemen wie Kotwasser führen, die nichts mit dem Hormonstatus zu tun haben. Stress durch soziale Isolation oder ungünstige Haltungsbedingungen beeinflussen die Verdauung deutlich stärker als die Geschlechtshormone. Ein gestresster Hengst entwickelt eher Magenprobleme oder Koliken als ein entspannter Wallach – aber dasselbe gilt auch für eine gestresste Stute.
Saisonale Anpassungen
Das Frühjahr ist für viele Hengste eine besonders herausfordernde Zeit. Die länger werdenden Tage und das veränderte Lichtangebot, zusammen mit der beginnenden Rosse der Stuten, führen zu hormonellen Schwankungen, die sich auf das Fressverhalten auswirken können. Manche Hengste werden unruhiger und nervöser, andere zeigen verstärkte Territorialität.
In dieser Zeit kann es sinnvoll sein, die Kraftfutterration leicht zu reduzieren und mehr Wert auf beruhigende Kräutermischungen, beispielsweise mit Baldrian oder Melisse zu legen. Wichtiger als Futteränderungen ist jedoch auch hier oft eine Anpassung des Managements mit mehr Bewegung und Beschäftigung.
Decksaison erfordert Aufmerksamkeit
Hengste, die zur Zucht eingesetzt werden, durchleben während der Decksaison erhebliche körperliche und psychische Belastungen. Der Energieverbrauch steigt durch die vermehrte Aktivität und den Stress tatsächlich an. Gleichzeitig kann die Aufregung zu verminderter Futteraufnahme und der (Re-)Aktivierung von Magengeschwüren führen.
Während dieser Zeit sollte besonders auf die Körperkondition geachtet werden. Eine leichte Erhöhung der Energiezufuhr kann nötig sein, aber meist reicht es aus, hochwertiges Raufutter rund um die Uhr anzubieten und für Ruhe beim Fressen zu sorgen. Häufig bekommen Zuchthengste deutlich zu hohe Proteinrationen, weil man denkt, dass ihre Decktätigkeit zu einem massiv erhöhten Bedarf führen würde, da sie in der Zeit ansonsten oft Muskulatur verlieren.
Der Muskelabbau ist aber in den meisten Fällen eher bedingt durch Stresshormone (vor allem Cortisol) und nicht durch Proteinmangel. Im Gegenteil weisen Studien darauf hin, dass hohe Proteingehalte in der Ration von Zuchthengsten die Spermaqualität und Fruchtbarkeit negativ beeinflussen. Daher sollte die Gesamtration betrachtet und nach Möglichkeit der Stress durch eine entsprechende Optimierung von Haltung, Bewegung und alternativen Beschäftigungen, minimiert werden.
Futtermythen rund um die Zuchtleistung
Viele Futtermittel wie Bierhefe oder spezielle Kräutermischungen werden Zuchthengsten als „Geheimtipp“ gefüttert, um die Libido oder Spermienqualität zu verbessern. Wissenschaftliche Belege für diese Wirkungen gibt es jedoch kaum bis gar nicht. Eine ausgewogene Grundernährung mit hochwertiger Heuqualität und nach Möglichkeit Weidegang ist ausreichend. Wichtiger ist es, die Haltung zu optimieren und den Hengst auch mit anderen Dingen zu beschäftigen als ihn nur als Spermaspender zu benutzen. Denn Stress wirkt sich negativ auf die Fruchtbarkeit aus.
Fütterungspraxis und Stressmanagement
Der wichtigste Unterschied in der Hengsthaltung liegt nicht im „Was“, sondern im „Wie“ der Fütterung. Hengste sollten grundsätzlich einzeln gefüttert werden, um Stress, Territorialverhalten und Futterneid zu vermeiden. Die Anwesenheit anderer Pferde beim Fressen kann zu Hast, Unruhe und Verdauungsproblemen führen.
Die Fütterungsumgebung sollte ruhig und sicher sein. Ein Hengst, der ständig aufschaut und seine Umgebung beobachtet, kann sein Futter nicht ordentlich kauen und einspeicheln. Dies führt zu schlechterer Verdaulichkeit und kann Koliken begünstigen.

Fütterungszeiten strukturieren
Wird Kraftfutter gegeben, sind regelmäßige Fütterungszeiten für Hengste besonders wichtig, genauso wie ein regelmäßiger Trainingsplan, da sie Struktur und Sicherheit bieten. Unregelmäßige Fütterung kann zusätzlichen Stress verursachen und zu Verhaltensproblemen führen. Dabei sollten die Abstände zwischen den Mahlzeiten nicht zu groß werden, um Magenprobleme zu vermeiden.
Ideal sind drei bis vier kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt, während Raufutter rund um die Uhr zur Verfügung stehen sollte, in Form von Heu oder – wenn möglich – Weidegang. Diese Regel gilt zwar für alle Pferde, ist aber bei stressanfälligen Hengsten besonders wichtig.
Problematische Futtermittel und Mythen
Der weit verbreitete Mythos, dass Hafer Hengste aggressiv oder unbeherrschbar macht, hält sich hartnäckig, ist aber wissenschaftlich nicht haltbar. Hafer ist ein hochwertiges Futtermittel mit etwa 40% leicht verdaulicher Stärke, günstiger Aminosäurenzusammensetzung und insgesamt guter Verdaulichkeit. Probleme entstehen meist durch Überfütterung oder ungeeignete Fütterungsumstände, nicht durch den Hafer selbst.
Tatsächlich kann eine zu energiereiche Fütterung bei unausgelasteten Hengsten zu verstärkter Unruhe führen. Denn Stärke wird im Darm zu Zucker abgebaut und resorbiert, sodass der Blutzuckerspiegel ansteigt. Diese zusätzliche Energie muss durch entsprechendes Training verbraucht werden. Dies gilt aber für jedes energiereiche Futtermittel, nicht speziell für Hafer.
Die Lösung liegt in der bedarfsgerechten Rationierung und ausreichender Bewegung. Ein Zuchthengst, du rund um die Uhr in seiner kleinen Paddockbox steht und nur einmal am Tag zum Absamen rauskommt, sollte auch kein stärkehaltiges Kraftfutter bekommen, da die Energie gar nicht ausreichend in Bewegung umgesetzt werden kann.
Beruhigende Zusätze kritisch betrachten
Viele Hengstbesitzer greifen zu beruhigenden Futterzusätzen wie Magnesium, Tryptophan oder pflanzlichen Extrakten. Während diese Mittel durchaus ihre Berechtigung haben können, sollten sie nicht als Allheilmittel betrachtet werden. Oft ist die Verbesserung der Haltungsbedingungen effektiver als jeder Futterzusatz.
Magnesium kann bei nachgewiesenem Mangel zu Hypernervosität führen und eine Zufütterung in solchen Fällen durchaus beruhigend wirken. Aber nicht jeder nervöse Hengst leidet unter Magnesiummangel! Eine Überversorgung ist nutzlos und kann sogar schädlich sein. Dasselbe gilt für andere beruhigende Futtermittel wie Kräutermischungen. Bevor sie zum Einsatz kommen, sollte man immer zuerst kritisch Haltung, Fütterung und Training betrachten und optimieren. Viele angeblich nervöse Hengste werden schon dadurch wesentlich ruhiger und besser zu handhaben.
Individuelle Bedürfnisse im Vordergrund
Viel wichtiger als das Geschlecht sind die individuellen Eigenschaften des Pferdes. Rasse, Körperbau, Temperament, Arbeitsbelastung und Haltungsform beeinflussen den Futterbedarf stärker als der Hormonstatus. Die Körperkondition ist der beste Maßstab für die richtige Fütterung. Ein Hengst sollte weder zu dünn noch zu dick sein. Überfütterung kann bei Hengsten schneller zu Problemen führen als bei Wallachen, da sie oft weniger Möglichkeiten zur freien Bewegung haben, um die Pfunde wieder loszuwerden.
Beobachtung statt Pauschalrezepte
Die Fütterung von Hengsten unterscheidet sich weniger von der Wallachfütterung, als viele Mythen suggerieren. Anstatt auf vermeintliche Geschlechtsunterschiede zu setzen, sollte jeder Hengst individuell beobachtet und entsprechend gefüttert werden. Frisst er sein Futter vollständig und mit Appetit? Ist er zufrieden und ausgeglichen? Stimmt die Körperkondition? Diese Fragen sind wichtiger als jede Geschlechtszugehörigkeit.
Regelmäßige Gewichtskontrollen und die Beurteilung der Körperkondition (z.B. mit der kostenlosen Sanoanimal App) helfen dabei, die Fütterung optimal anzupassen. Dabei sollten auch saisonale Schwankungen berücksichtigt werden, die bei allen Pferden auftreten, nicht nur bei Hengsten. Ein entspannter Hengst in guter Haltung benötigt keine aufwendigen Futterprogramme, sondern einfach eine bedarfsgerechte, hochwertige Ernährung wie jedes andere Pferd auch.