Wann Insektenschutz wirklich nötig ist und wie man die perfekte Ausrüstung findet
Das Wichtigste in Kürze
- Bedarfsanalyse: Nicht jedes Pferd braucht eine Fliegendecke – individuelle Faktoren entscheiden
- Passform ist entscheidend: Schlecht sitzende Decken können mehr schaden als nutzen
- Material macht den Unterschied: Atmungsaktivität vs. Schutzwirkung richtig abwägen
- Sicherheit geht vor: Reißfeste, aber trotzdem „notfalltaugliche“ Konstruktionen wählen
- Mehrere Decken nötig: Für Hygiene und Dauereinsatz sind Wechseldecken unverzichtbar
- Alternativen prüfen: Manchmal sind Fliegensprays oder Managementänderungen sinnvoller
Fliegendecken sind aus modernen Ställen kaum noch wegzudenken, doch längst nicht jedes Pferd benötigt diesen Schutz. Die Entscheidung für oder gegen eine Fliegendecke sollte wohlüberlegt sein, denn falsch eingesetzte Schutzausrüstung kann mehr Probleme schaffen als lösen. Dieser Leitfaden soll dabei helfen, die richtige Entscheidung für das eigene Pferd zu treffen und im Bedarfsfall die optimale Lösung zu finden.
Wann Fliegendecken wirklich sinnvoll sind
Pferdetypen mit erhöhtem Schutzbedarf
Nicht alle Pferde sind gleich anfällig für Insektenprobleme. So sollte ein Tinker mit seinem von Natur aus sehr dichten Sommerfell eigentlich genügend „Abwehrkraft“ mitbringen, um nicht zu sehr geplagt zu werden. Moderne Warmblüter mit ihrem im Sport gerne gesehenen, dünnen Seidenfell und den kurz gestutzten Mähnen und Schweifen haben oft keinen ausreichenden natürlichen Schutz mehr. Ihre elegante Erscheinung geht zu Lasten der Funktionalität.
Pferde mit heller Haut sind besonders gefährdet, da sie nicht nur von Insekten, sondern auch von UV-Strahlung stärker betroffen sind. Perlinos, Cremellos oder andere Pferde mit wenig Pigmentierung profitieren oft deutlich von Schutzdecken, schon allein wegen des UV-Schutzes. Ältere Pferde oder solche mit geschwächtem Immunsystem können Insektenstiche oft schlechter verkraften und sind daher häufiger auf zusätzlichen Schutz angewiesen. Aber hier gilt wie so häufig: das einzelne Pferd gut beobachten und dann entscheiden. So gibt es genug Oldies, die überhaupt kein Problem haben mit Insektenstichen, während der Tinker nebenan sich vor lauter Sommerekzem den Hals blutig scheuert.
Standortfaktoren berücksichtigen
Die örtlichen Gegebenheiten spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Stallungen in Wassernähe oder feuchten Gebieten haben naturgemäß höhere Insektenpopulationen. Auch Weiden ohne natürlichen Schatten oder andere Gründe für stark erhöhten Insektendruck rechtfertigen oft den Einsatz von Schutzausrüstung.
Gesundheitliche Indikationen
Bei starkem Sommerekzem sind spezielle Ekzemer-Decken oft unverzichtbar, auch wenn sie nur eine symptomatische Behandlung darstellen. Pferde mit Augenproblemen oder schlecht heilenden Wunden können durch Fliegenbänder oder Fliegenmasken erheblich entlastet werden.
Die richtige Passform finden
Vermessungsgrundlagen
Eine Fliegendecke muss wie ein maßgeschneiderter Anzug sitzen. Zu enge Decken scheuern und behindern die Bewegung, zu weite Decken verrutschen und können zu gefährlichen Situationen führen. Die wichtigsten Maße sind die Rückenlänge (vom Widerrist bis zum Schweifansatz), der Brustumfang und die Tiefe (vom Rücken bis zum gewünschten unteren Abschluss). Viele Hersteller bieten Größentabellen an, aber individuelle Anpassungen sind oft nötig.
Bewegungsfreiheit testen
Eine gut sitzende Fliegendecke sollte alle natürlichen Bewegungen des Pferdes zulassen. Beim Grasen darf sie nicht am Hals ziehen, beim Laufen nicht die Schulterfreiheit einschränken. Ein Test auf der Weide zeigt schnell, ob die Passform stimmt.
Problemzonen beachten
Besonders kritisch sind die Scheuerstellen an Schultern, Brust und Kruppe. Hier sollte die Decke weder zu eng anliegen noch durch Faltenbildung zusätzliche Reibung erzeugen. Verstärkungen oder Polsterungen an diesen Stellen können Hautproblemen vorbeugen.
Materialauswahl: Der Kompromiss zwischen Schutz und Komfort
Leichte Netzgewebe für heiße Tage
Feinmaschige Netzgewebe bieten den besten Kompromiss zwischen Schutz und Atmungsaktivität. Sie halten die meisten Fliegen ab, lassen aber Luft zirkulieren und verhindern Hitzestau. Ideal für empfindliche Pferde oder sehr heiße Klimazonen, weil sie meist einen guten Schutz gegen Fliegen und Bremsen bieten. Mücken lassen sich von diesen Fliegendecken aber meist nicht abhalten.
Dichtere Gewebe gegen kleine Plagegeister
Für Ekzemer-Decken sind dichter gewebte Materialien erforderlich, die auch kleinste Gnitzen fernhalten. Diese Decken sind weniger atmungsaktiv und können zu Überhitzung führen – ein Dilemma, das eine sorgfältige Überwachung erfordert, vor allem wenn die Pferde auf der Weide keinen Schatten haben.
UV-Schutz als Zusatzfunktion
Moderne UV-Schutzgewebe kombinieren Insektenschutz mit Sonnenschutz. Besonders für Pferde mit heller Haut oder in Gebieten mit intensiver Sonneneinstrahlung kann das eine sinnvolle Investition sein. Hier gilt aber wie so oft: Die Fütterung beeinflusst, wie sensibel ein Pferd auf die Sonne reagiert. So können vor allem einige Pflanzen wie das bekannte Johanniskraut, aber auch die Luzerne (Alfalfa) die Photosensitivität erhöhen. Statt das Pferd gleich in eine UV-dichte Decke zu wickeln, sollte man also auch mal einen Blick auf das Futter werfen, wenn der Vierbeiner zu Sonnenbrand neigt.
Materialqualität erkennen
Hochwertige Materialien erkennt man an gleichmäßiger Webung, robusten Nähten und widerstandsfähigen Verschlüssen. Billige Materialien reißen schnell und können durch scharfe Kanten sogar Verletzungen verursachen.
Sicherheitsaspekte nicht vernachlässigen
Das Paradox der Sicherheit
Fliegendecken müssen zwei widersprüchliche Anforderungen erfüllen: Sie sollen einerseits robust und reißfest sein, andererseits muss sich das Pferd in Notsituationen befreien können. Moderne Decken lösen dieses Problem durch Sollbruchstellen oder elastische Einsätze.
Verschlusssysteme bewerten
Klett- und Klickverschlüsse sind praktisch, können aber bei starker Beanspruchung versagen oder das Pferd verletzen. Schnallen sind robuster, erfordern aber mehr Zeit beim An- und Ausziehen. Die Wahl hängt vom Einsatzbereich ab. Verschlissene Verschlüsse, ausgefranste Nähte oder beschädigte Materialien können zu Sicherheitsrisiken werden. Eine wöchentliche Inspektion der Ausrüstung gehört zur Routine.

Speziallösungen für besondere Bedürfnisse
Fliegenmasken: Schutz für den sensiblen Kopfbereich
Augenmasken schützen die empfindliche Gesichtsregion, können aber zu Hitzestau führen. Wichtig ist eine Passform, die weder drückt noch die Sicht beeinträchtigt. Masken mit Ohren- oder Nüsternschutz bieten erweiterten Schutz, erfordern aber besondere Aufmerksamkeit bei der Anpassung.
Fransen-Stirnbänder als Alternative
Für viele Pferde reicht ein Fransen-Stirnband als Ersatz für den natürlichen Schopf aus. Diese Lösung vermeidet Hitzestau am Kopf und bietet trotzdem wirksamen Schutz für die Augen.
Pflege und Hygiene: Mehrere Decken sind Pflicht
Warum eine Decke nicht reicht
Fliegendecken werden bei täglichem Gebrauch schnell schmutzig. Schweiß, Staub und Schmutz sammeln sich im Gewebe und reduzieren damit die Durchlüftung. Außerdem können sie zu Hautirritationen führen. Mindestens zwei Decken pro Pferd sind daher unverzichtbar – eine in Gebrauch, eine in der Wäsche.
Die meisten modernen Fliegendecken sind maschinenwaschbar, sollten aber schonend gewaschen werden. Aggressive Waschmittel oder Weichspüler können die Schutzwirkung beeinträchtigen. Lufttrocknung ist meist besser als der Trockner. Saubere, trockene Lagerung verlängert die Lebensdauer erheblich. Mottenschutz und UV-geschützte Aufbewahrung, vor allem über den Winter, bewahren die Materialqualität.
Investition in Langlebigkeit
Hochwertige Fliegendecken kosten mehr, halten aber oft mehrere Saisons. Billige Decken müssen häufig ersetzt werden und verursachen langfristig höhere Kosten. Zudem ist das Verletzungsrisiko bei minderwertigen Produkten höher.
Man sollte sich außerdem vor der Anschaffung von Fliegendecken auch den Umweltaspekt überlegen. Synthetische Materialien belasten die Umwelt, besonders wenn sie häufig ersetzt werden müssen. Hochwertige, langlebige Produkte sind umweltfreundlicher als billige Wegwerfware. Auch die Entsorgung sollte bedacht werden, zumal beim Spielen oft Teile der Decken auf der Weide landen und dort leider nicht verrotten. Die Erfahrung zeigt: billige Decken gehen schneller kaputt als hochwertige Modelle.
Worauf beim Kauf zu achten ist
- Verstärkte Nähte an belasteten Stellen
- Rostfreie Verschlüsse für Langlebigkeit
- Atmungsaktive Materialien gegen Hitzestau
- Waschbarkeit für einfache Pflege
- Herstellergarantie als Qualitätsindikator
Anprobe vor dem Kauf
Seriöse Händler bieten Anproben oder Umtauschrecht an. Eine Decke, die nicht perfekt passt, ist eine schlechte Investition, egal wie günstig sie war.
Grenzen und Alternativen erkennen
Wann Fliegendecken problematisch werden
An sehr heißen Tagen können selbst leichte Decken zu Überhitzung führen. Pferde schwitzen mehr, was paradoxerweise mehr Insekten anzieht. In solchen Situationen sind Fliegensprays oder Management-Änderungen oft die bessere Wahl. So entscheiden sich viele Ställe, im Hochsommer die Pferde nachts auf die Weide zu stellen. Dann gibt es zwar mehr Mücken, dafür aber keine Bremsen und Fliegen. Als Alternative bietet sich der sehr frühe Morgen an. Hier muss jeder für sich schauen, was in der Stallroutine am besten umsetzbar ist. Schattenplätze und Windschneisen können genauso effektiv sein wie künstlicher Schutz.
Maßgeschneiderte Lösungen statt Standardantworten
Die perfekte Fliegendecke gibt es nicht – nur die perfekte Lösung für das individuelle Pferd in seiner spezifischen Situation. Eine sorgfältige Analyse der Bedürfnisse, gepaart mit hochwertiger Ausrüstung und konsequenter Pflege, kann den Sommer für Pferd und Mensch erheblich angenehmer machen. Wichtig ist dabei, Fliegendecken nicht als Allheilmittel zu sehen, sondern als einen Baustein in einem ganzheitlichen Konzept aus artgerechter Haltung, durchdachtem Management und bedarfsgerechtem Schutz. So lässt sich ein Gleichgewicht finden, das sowohl den Bedürfnissen des Pferdes als auch den praktischen Anforderungen des Alltags gerecht wird.