Rasse, Image und Klischees – warum gerade Barockhengste so beliebt sind

Rasse, Image und Klischees – warum gerade Barockhengste so beliebt sind

© Adobe Stock / Kseniya Abramova

Wenn Romantik auf Realität trifft und der Traum vom edlen Andalusier zum Alptraum wird

Das Wichtigste in Kürze

  • Barockhengste wie Andalusier, Lusitanos und Friesen üben eine besondere Faszination aus
  • Medien und Marketing prägen unrealistische Vorstellungen von diesen Rassen
  • Viele Käufer unterschätzen die besonderen Anforderungen barocker Pferderassen – noch mehr, wenn es auch noch Hengste sind
  • Der Reitstil und die Showwirkung stehen oft im Vordergrund, nicht die Alltagstauglichkeit
  • Hengste werden häufig als Statussymbol gekauft, ohne die Konsequenzen zu bedenken
  • Charakterliche Eigenschaften werden oft romantisiert oder falsch interpretiert
  • Realistische Erwartungen und ehrliche Selbsteinschätzung sind entscheidend für den Erfolg

Der Traum vom edlen Barockhengst lebt in vielen Pferdeherzen. Andalusier, Lusitanos, Friesen und andere Barockrassen verkörpern für viele Menschen das Ideal von Eleganz, Kraft und Noblesse. Doch zwischen Traum und Realität klafft oft eine erhebliche Lücke, die sowohl für Pferd als auch Halter problematisch und auf Dauer frustrierend werden kann.

Die Faszination der Barockpferde

Barockpferde blicken auf jahrhundertealte Zuchttraditionen zurück, die von Königen und Adligen geprägt wurden. Diese historische Dimension verleiht ihnen eine Aura von Exklusivität und Noblesse, die moderne Sportpferde oder pummelige Freizeitponys selten erreichen. Ein Andalusier trägt die Geschichte der spanischen Reitkunst in sich, ein Friese die Tradition der niederländischen Kutschpferde.

Diese historische Bedeutung wird durch Medien und Marketing geschickt verstärkt. Filme, Bücher und Werbung zeigen fast ausschließlich die spektakulären Seiten dieser Rassen: galoppierende Hengste am Strand, perfekt ausgebildete, piaffierende Showpferde oder majestätische Kutschpferde vor historischen Kulissen. Diese Bilder prägen die Erwartungen potenzieller Käufer nachhaltig.

Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Ein dreijähriger Andalusier-Hengst ist zunächst einmal ein junges, unerzogenes Pferd mit allen damit verbundenen Herausforderungen. Die edle Erscheinung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Barockpferde jahrelange Ausbildung benötigen, um ihr Potenzial zu entfalten und ein Hengst seine ganz eigenen hormonbedingten Probleme mit sich bringt.

Charakteristische Eigenschaften und ihre Interpretation

Barockrassen werden oft mit bestimmten Charaktereigenschaften in Verbindung gebracht, die romantisiert oder falsch interpretiert werden. Andalusier gelten als „stolz“ und „feurig“, Friesen als „sanftmütig“ und „gelassen“, Lusitanos als „mutig“ und „arbeitsfreudig“. Diese Zuschreibungen enthalten oft einen wahren Kern, da die Rassen alle ursprünglich für einen bestimmten Zweck gezüchtet wurden, werden aber häufig überbewertet oder missverstanden.

Was als „Stolz“ interpretiert wird, kann in Wirklichkeit Unsicherheit oder mangelnde Erziehung sein. Ein „feuriger“ Charakter kann sich als unkontrollierbare Nervosität entpuppen, und die vermeintliche „Sanftmut“ kann Gleichgültigkeit oder erlernte Hilflosigkeit bedeuten. Viele Käufer projizieren ihre Wünsche auf die Pferde, ohne deren tatsächliche Eigenschaften realistisch zu bewerten.

Rasse prägt Charakter, aber Erziehung und Haltung prägen das Pferd.

Die Inszenierung der Perfektion

Die Vermarktung von Barockhengsten ist oft eine Meisterleistung in Sachen Inszenierung. Professionelle Fotos zeigen die Pferde in perfekter Pose, meist mit wallendem Langhaar und in spektakulären Bewegungen. Diese Bilder erwecken den Eindruck, als seien alle Vertreter der Rasse natürlicherweise so majestätisch und bewegungsfreudig.

Was dabei oft übersehen wird: Hinter jedem spektakulären Foto stehen Jahre der Ausbildung, professionelle Fotografen und nicht selten auch digitale Nachbearbeitung. Das alltägliche Leben mit einem solchen Pferd sieht völlig anders aus. Der Hengst, der auf dem Foto mit wallender Mähne über die Koppel galoppiert, steht in vielen Fällen 23 Stunden täglich in einer kleinen Box, Mähne und Schweif eingeflochten, sodass er nicht einmal die Fliegen verjagen kann, still leidend unter sozialer Isolation und häufig nicht artgerechter Fütterung.

Die sozialen Medien verstärken diesen Effekt noch. Kurze Videos zeigen nur die gelungenen Momente, nie die mühsame tägliche Arbeit in der Ausbildung eines klassisch gerittenen oder für Shows ausgebildeten Hengstes. Auch die Rückschläge und die Pferde, welche aufgrund charakterlicher Probleme oder anderer Gründe „aussortiert“ wurden, sind nur selten zu sehen. So entsteht ein völlig verzerrtes Bild von dem, was die Haltung eines Barockhengsts wirklich bedeutet.

Reitstil als Verkaufsargument

Ein wichtiger Faktor für die Beliebtheit von Barockhengsten ist ihr Bezug zur klassischen Reitkunst. Begriffe wie „Hohe Schule“, „Levade“ oder „Piaffe“ haben einen magischen Klang und suggerieren eine besondere Qualität der Pferde. Viele Käufer träumen davon, klassische Lektionen zu reiten, ohne zu verstehen, was wirklich dahintersteckt.

Die Realität ist leider ernüchternd: Echte klassische Reitkunst erfordert nicht nur außergewöhnliche Pferde, sondern vor allem außergewöhnliche Reiter mit erheblichem Einsatz für das eigene sportliche Training und investierte Zeit in die eigene Ausbildung. Ein Hengst, der spektakuläre Bewegungen zeigt, ist noch lange nicht ausgebildet für die Hohe Schule. Oft handelt es sich um natürliche Bewegungsmuster, Imponiergehabe oder sogar um Stressverhalten, das als „Talent“ verkauft wird.

Die Realität des Alltags mit Barockhengsten

Viele Barockrassen haben spezielle Bedürfnisse, die sich aus ihrer ursprünglichen Verwendung und jahrhundertelangen Selektion ergeben. Andalusier und Lusitanos wurden für die Arbeit mit Stieren gezüchtet und haben entsprechend furchtlose, temperamentvolle und reaktionsschnelle Charaktere entwickelt. Diese Eigenschaften können im modernen Freizeitbereich problematisch werden, da sie sich von einem unsicheren Menschen kaum sagen lassen, was sie zu tun oder zu lassen haben.

Friesen haben durch ihre ursprüngliche Verwendung als Kutschpferde andere Herausforderungen. Ihr üppiger Behang erfordert intensive Pflege, und ihr Gebäude macht es für durchschnittliche Reiter praktisch unmöglich, sie korrekt über den Rücken zu arbeiten. Was in Showsituationen beeindruckend wirkt, kann im Alltag zur Belastung werden – nicht nur im Pflegeaufwand, sondern auch wenn der Rücken frühzeitig durch Fehlhaltungen und daraus resultierende Kissing Spines zur schmerzhaften „Dauerbaustelle“ wird.

Die meisten Barockrassen sind außerdem spätreif und benötigen mehr Zeit für ihre körperliche und geistige Entwicklung als moderne Warmblüter. Ein dreijähriger Andalusier ist oft noch sehr kindlich und erzeugt die Illusion, dass man ihn als Hengst problemlos handhaben kann, auch wenn man noch keinerlei Erfahrung mit Hengsten oder der Erziehung eines Jungpferdes hat. Sind sie dann mit acht Jahren „fertig“, hat man oft ein Pferd im Stall, vor dem der Besitzer Angst hat. Leider werden solche Pferde dann viel zu oft entweder „abgestellt“ ohne Sozialkontakte und tägliche Beschäftigung, oder an einen Platz „bei erfahrenen Pferdehaltern“ weitergeschoben, weil der Mensch mit ihnen nicht mehr klarkommt.

Gesundheitliche Besonderheiten

Barockrassen bringen auch gesundheitliche Besonderheiten mit sich, die oft unterschätzt werden. Friesen haben eine Prädisposition für bestimmte Stoffwechselprobleme und – bedingt durch ihr Gebäude – Kissing Spines. Andalusier und Lusitanos entwickelnt bei dem zuckerreichen Raufutter in unseren Breitengraden sehr oft Insulinresistenz und als Folge EMS oder Pseudo-EMS, zusammen mit Hufrehe oder Sommerekzem. Knabstrupper haben durch ihre spezielle Farbzucht oft Probleme mit Nachtblindheit, was zu erheblicher Unsicherheit beim Pferd führen kann, die sich in Hypernervosität oder Aggression äußern kann.

Diese rassespezifischen Eigenarten erfordern spezielles Wissen und oft auch höhere Tierarztkosten. Was beim Kauf als „Seelenpartner“ beworben wird, kann sich als pflegeintensives, teures und kaum reitbares „Sparschwein“ entpuppen.

Der Hengst als Statussymbol

Ein beträchtlicher Teil der Nachfrage nach Barockhengsten ist durch Prestigedenken motiviert. Ein majestätischer Andalusier-Hengst vermittelt ein anderes Image als ein „gewöhnlicher“ Warmblutwallach. Diese Statussymbol-Funktion führt jedoch oft dazu, dass die praktischen Aspekte der Hengsthaltung vernachlässigt werden.

Viele Käufer sind mehr vom Image als von den realen Eigenschaften des Pferdes angezogen. Sie träumen vom Eindruck, den sie mit ihrem spektakulären Hengst machen werden, unterschätzen aber die damit verbundenen Kosten und Verpflichtungen. Das Pferd wird zum Accessoire degradiert, anstatt als Lebewesen betrachtet zu werden.

Diese Einstellung führt oft zu Problemen, wenn die Realität des Alltags einsetzt. Ein Statussymbol sollte glänzen und beeindrucken, aber ein Hengst macht zunächst einmal jede Menge Arbeit und Probleme. Wenn dann die erhofften „Wow-Effekte“ ausbleiben, wächst die Frustration auf beiden Seiten.

Finanzielle Überforderung als häufige Folge

Der Kauf eines Barockhengsts ist oft nur der Anfang hoher finanzieller Belastungen. Spezielle Haltungsanforderungen, teurere Stallmieten, höhere Versicherungskosten und die Notwendigkeit professioneller Ausbildung summieren sich zu erheblichen Summen. Viele Besitzer unterschätzen diese Folgekosten drastisch.

Hinzu kommt, dass Barockhengste oft teurer verkauft werden als ihre tatsächliche Qualität rechtfertigt. Der Rassename und das männliche Geschlecht werden als Preisaufschlag vermarktet, ohne dass die individuelle Qualität des Pferdes entsprechend ist. Viele Käufer zahlen für Image und Hoffnungen, nicht für reale Werte.

Von Filmpferden und Märchen

Hollywood und (Soziale) Medien haben ein völlig unrealistisches Bild von Hengsten geprägt. Der edle Rappe, der seinem Helden treu ergeben durch Dick und Dünn folgt, oder der majestätische Schimmel, der ohne Sattel und Zaum hohe Dressur geht, sind Fantasieprodukte. Echte Hengste haben schlechte Tage, Launen und Eigenarten wie alle anderen Pferde auch.

Die Medienbilder im Kopf des Menschen verstärken die Enttäuschung, wenn die Realität einsetzt. Ein echter Hengst interessiert sich mehr für die Stute auf der Nachbarkoppel als für die Träume seines Besitzers. Er hat keine natürliche Motivation, spektakuläre Lektionen zu zeigen oder bei jeder Gelegenheit majestätisch zu erscheinen. Er wälzt sich im Dreck, verfilzt seine lange Mähne, kann aggressiv werden, wenn er die Stute in der Nase hat, der Reiter aber Leistung fordert. Er leidet unter sozialer Isolation, Magengeschwüren und der Tatsache, dass er sein natürliches Verhalten nicht ausleben kann.

Hengst am Strand
Die Traumvorstellung eines barocken Hengstes © Adobe Stock / Azahara

Die Illusion der schnellen Erfolge

Viele Barockhengst-Besitzer erwarten schnelle, spektakuläre Erfolge, weil es doch ein Barockhengst ist. Sie sehen Videos von ausgebildeten Hengsten und glauben, ihr Pferd müsse ähnliche Leistungen zeigen. Diese Erwartung, oft gepaart mit innerer Ungeduld führt leider häufig zu Überforderung und Problemen in der Ausbildung.

Die Realität ist, dass auch die besten Barockhengste viele Jahre benötigen, um ihr Potenzial zu entfalten. Ein Andalusier, der mit 16 Jahren spektakuläre Lektionen zeigt, war mit drei Jahren noch ein ganz normales Jungpferd mit Knete im Kopf, wurde ab dem sechsten Lebensjahr langsam und fundiert ausgebildet und ist dann ab 15 soweit, dass er die meisten Lektionen ordentlich beherrscht. Danach kommt dann der „Feinschliff“, sodass man mit Anfang 20 Perfektion erreicht. Diese Entwicklung mit all der investierten Zeit und Arbeit wird oft unterschätzt und führt zu falschen Erwartungen.

Realistische Zielsetzung als Grundlage

Wer erfolgreich mit einem Barockhengst leben möchte, muss zunächst realistische Ziele setzen. Nicht jeder Andalusier wird hohe Schule gehen, und nicht jeder Friese eignet sich für spektakuläre Showauftritte. Die reellen individuellen Eigenschaften des Pferdes müssen im Vordergrund stehen, nicht die eigenen Erwartungen.

Erfolgreiche Hengsthalter investieren unglaublich viel Zeit in die Ausbildung – sowohl die des Pferdes als auch ihre eigene. Sie arbeiten mit erfahrenen Trainern zusammen und haben Geduld für langfristige Entwicklung. Sie sehen das Pferd als Partner, nicht als Prestigeobjekt.

Die richtige Vorbereitung macht den Unterschied

Vor dem Kauf eines Barockhengsts sollten alle praktischen Aspekte geklärt werden. Gibt es einen geeigneten Stall, der eine weitgehend artgerechte Hengsthaltung und entsprechende Trainingsmöglichkeiten wie Reithalle oder überdachtes Roundpen anbietet? Ist professionelle Hilfe für die Ausbildung verfügbar? Stimmt das zur Verfügung stehende Budget für die langfristigen Kosten – eingeschlossen der höheren Stallmiete, Kosten für Trainer und höhere Versicherungskosten? Diese nüchternen Fragen sind wichtiger als romantische Träume.

Auch die ehrliche Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten ist entscheidend. Ein Anfänger sollte keinen Hengst kaufen, egal wie sehr er von der Rasse träumt und wie gut ausgebildet das Pferd angeblich schon ist. Die Kombination aus unerfahrenem Besitzer und Hengst führt fast zwangsläufig ins Desaster.

Die Faszination für Barockhengste ist verständlich und berechtigt. Diese Pferde haben zweifellos besondere Qualitäten und können außergewöhnliche Partner werden. Der Weg dorthin ist jedoch meist länger und steiniger, als Marketing und Medien suggerieren. Wer sich dieser Realität bewusst ist und entsprechend vorbereitet, kann durchaus seinen Traum vom edlen Barockhengst verwirklichen. Wichtig ist dabei, das Pferd als Individuum zu sehen und nicht als Verkörperung der eigenen romantischen Träume.

Team Sanoanimal

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