Hengsthaltung als Stressfaktor – unterschätzte Belastung für Körper und Psyche

Hengsthaltung als Stressfaktor – unterschätzte Belastung für Körper und Psyche

© Adobe Stock / Rita Kochmarjov

Wenn gut gemeinte Haltung zum Problem wird und Hengste unter den Bedingungen leiden

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Hengste leben in chronischem Stress durch unnatürliche Haltungsbedingungen
  • Soziale Isolation widerspricht den Grundbedürfnissen von Herdentieren und macht krank
  • Bestrafung natürlicher Verhaltensweisen führt zu inneren Konflikten und Verhaltensstörungen
  • Magengeschwüre sind bei isoliert gehaltenen Hengsten deutlich häufiger als bei Wallachen
  • Stereotypien wie Weben oder Koppen entstehen oft durch chronische Unterforderung
  • Aggressivität ist meist ein Symptom für Stress, nicht für schlechten Charakter
  • Artgerechte Haltung reduziert Verhaltensprobleme oft dramatisch

Die traditionelle Hengsthaltung in Deutschland ist geprägt von Sicherheitsdenken und der Angst vor Problemen. Was gut gemeint ist, wird jedoch oft zur Belastung für die Pferde selbst. Viele Hengste leben in einem Zustand chronischen Stresses, der ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt. Die Folgen werden häufig unterschätzt oder falsch interpretiert.

Soziale Isolation als größter Stressfaktor

Pferde sind Herdentiere, die in freier Wildbahn niemals freiwillig allein leben würden. Selbst alte oder kranke Pferde versuchen, den Anschluss an eine Gruppe zu behalten. Die bei Hengsten weit verbreitete Einzelhaltung widerspricht diesem fundamentalen Bedürfnis und verursacht erheblichen psychischen Stress.

Dieser Stress ist zunächst oft nicht sichtbar. Viele Hengste arrangieren sich scheinbar mit ihrer Situation und werden als „pflegeleicht“ wahrgenommen. Unter der Oberfläche läuft jedoch ein permanenter Konflikt zwischen dem natürlichen Bedürfnis nach sozialen Kontakten und der Realität der Isolation. Dieser innere Konflikt zehrt an den Kräften und macht anfällig für verschiedene Erkrankungen – von Magengeschwüren bis Verhaltensauffälligkeiten.

Besonders problematisch ist die Isolation für junge Hengste, die noch in der Lernphase sind. Sie verpassen wichtige soziale Erfahrungen und entwickeln oft Verhaltensprobleme, die später schwer zu korrigieren sind. Ein dreijähriger Hengst, der seit dem Absetzen isoliert lebt, hat bereits einen erheblichen Teil seiner sozialen Entwicklung versäumt.

Auswirkungen auf das Immunsystem

Chronischer Stress durch soziale Isolation schwächt zudem das Immunsystem erheblich. Gestresste Hengste sind anfälliger für Infekte, heilen schlechter von Verletzungen und zeigen häufiger Hautprobleme oder Allergien. Diese Zusammenhänge werden oft übersehen, weil die Symptome nicht direkt mit der Haltung und der sozialen Isolation in Verbindung gebracht werden.

Stress führt zur vermehrten Ausschüttung von Cortisol, einem Hormon, das in kleinen Mengen nützlich ist, bei chronischer Erhöhung jedoch schädlich wirkt. Cortisol unterdrückt die Immunabwehr, beeinträchtigt die Wundheilung und kann sogar das Knochenwachstum stören. Ein gestresster Hengst ist daher nicht nur unglücklich, sondern auch körperlich benachteiligt.

Einsamkeit macht krank – auch bei Pferden ist soziale Isolation ein Gesundheitsrisiko.

Der Konflikt zwischen Instinkt und Erziehung

Moderne Hengsthaltung verlangt von den Tieren, ihre natürlichen Instinkte zu unterdrücken. Territorialverhalten, Interesse an Stuten oder dominante Gesten werden oft konsequent bestraft. Diese Bestrafung natürlicher Verhaltensweisen führt zu inneren Konflikten, die sich in verschiedenen Formen äußern können.

Ein Hengst, der für das Wiehern bei Anblick einer Stute geschimpft wird, lernt nicht etwa, das Wiehern zu lassen. Er lernt vielmehr, dass seine natürlichen Impulse unerwünscht sind. Dies führt zu Verunsicherung und kann das Selbstvertrauen nachhaltig schädigen. Manche Hengste werden dadurch übervorsichtig und gehemmt, andere reagieren mit verstärkter Rebellion.

Das Problem verstärkt sich, wenn die Bestrafung inkonsequent oder für das Pferd unvorhersehbar erfolgt. Ein Hengst, der manchmal für dasselbe Verhalten bestraft wird und manchmal nicht, entwickelt chronischen Stress, weil er nie weiß, was von ihm erwartet wird.

Unterdrückung vs. Kanalisierung

Erfolgreiche Hengsthaltung bedeutet nicht, natürliche Verhaltensweisen zu unterdrücken, sondern sie zu kanalisieren. Ein Hengst, der seine Energie in kontrollierte Bahnen lenken kann, ist ausgeglichener als einer, der ständig gegen seine Instinkte ankämpfen muss. Diese Erkenntnis setzt sich jedoch nur langsam durch.

Territoriales Verhalten kann beispielsweise durch klar definierte Bereiche kanalisiert werden. Wenn ein Hengst weiß, dass sein Paddock „sein“ Bereich ist, kann er sich dort entspannen, ohne ständig sein Revier verteidigen zu müssen. Wird der Paddock hingegen für mehrere Pferde genutzt, die nacheinander dort hingestellt werden, damit sie mal eine Stunde aus der Box kommen und Frischluft schnuppern können, führt das zu erheblichem Stress beim Hengst, weil andauernd fremde Pferde „sein“ Territorium verletzen.

Zusammenhang zu Magengeschwüren

Magengeschwüre sind bei Hengsten deutlich häufiger als bei Wallachen oder Stuten. Studien zeigen, dass bis zu 80 Prozent der Rennpferd-Hengste betroffen sind, aber auch bei Freizeithengsten liegt die Rate erschreckend hoch. Der Hauptgrund ist chronischer Stress, der die Magenschleimhaut angreift und zu schmerzhaften Läsionen führt.

Stress führt zu einer erhöhten Produktion von Magensäure bei gleichzeitig verringerter Schleimhautdurchblutung. Diese Kombination macht die Magenwand anfällig für Schäden. Besonders problematisch sind bei Hengsten oft praktizierte große Kraftfuttermahlzeiten und Raufutterpausen durch Mahlzeitenfütterung. Ohnehin fressen Hengste oft unregelmäßig, da sie häufig zu aufgeregt zum Fressen sind.

Die Symptome von Magengeschwüren werden oft fehlinterpretiert. Appetitlosigkeit, Mattigkeit oder schlechte Leistung werden ebenso wie Sattel- oder Gurtenzwang häufig auf den „schwierigen Charakter“ des Hengstes geschoben, anstatt die wahren Ursachen zu suchen. Auch Verhaltensauffälligkeiten wie Koppen oder Weben können auf Magenschmerzen hindeuten.

Prävention durch Stressreduktion

Die beste Behandlung von Magengeschwüren ist ihre Prävention durch Stressreduktion. Hengste, die artgerecht gehalten werden, entwickeln deutlich seltener Magenprobleme. Reduktion des Kraftfutters, stärkefreie Ernährung, durchgehender Zugang zu Raufutter und die Reduzierung von Stressfaktoren sind effektiver als jede medikamentöse Behandlung. Viele Magengeschwüre werden mit Medikamenten behandelt, die zwar die Symptome lindern, aber die Ursachen nicht beheben. Ohne Änderung der Haltungsbedingungen kehren die Probleme meist zurück.

Stereotypien als Bewältigungsstrategie

Weben, Koppen, Boxenlaufen, Autoaggression oder andere Stereotypien sind bei isoliert gehaltenen Hengsten weit verbreitet. Diese repetitiven Verhaltensweisen entstehen als Bewältigungsstrategie für chronischen Stress und Unterforderung. Sie sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Haltungsbedingungen den Bedürfnissen des Pferdes nicht gerecht werden.

Stereotypien beginnen oft harmlos, verstärken sich aber mit der Zeit und können zu zwanghaften Verhaltensmustern werden. Ein Hengst, der aus Langeweile anfängt zu weben, kann dies irgendwann nicht mehr kontrollieren. Die Bewegung wird zur Sucht, die ihm vorübergehend Erleichterung verschafft, langfristig aber zusätzlichen Stress verursacht.

Die Behandlung von Stereotypien durch Bestrafung oder mechanische Hilfsmittel ist nicht nur unwirkam, sondern oft kontraproduktiv. Sie bekämpft die für uns sichtbaren Symptome, verstärkt aber die zugrundeliegenden Probleme: Stress. Erfolgreicher ist die Beseitigung der Ursachen durch verbesserte Haltung und mehr Beschäftigung.

Aggressivität als Notsignal

Viele als „schwierig“ oder „bösartig“ bezeichnete Hengste sind in Wirklichkeit gestresst und überfordert. Aggressivität ist oft ein Notsignal, das auf chronische Überlastung hinweist. Ein Hengst, der beim Betreten der Box die Ohren anlegt oder nach Menschen schnappt, kommuniziert seinen Stress auf die einzige Weise, die ihm zur Verfügung steht.

Diese Aggressivität wird häufig mit mehr Strenge und Dominanz „behandelt“, was das Problem meist verschärft. Ein gestresster Hengst braucht nicht mehr Druck, sondern Verständnis der Gründe für sein Verhalten und die Beseitigung der Stressursachen. Viele scheinbar unheilbar aggressive Hengste werden durch verbesserte Haltungsbedingungen zu umgänglichen Partnern.

Aggressives Verhalten von einem Pferd über den Zaun
Stress kann so manch unliebsames oder gefährliches Verhalten auslösen © Adobe Stock / Julianna

Physische Folgen chronischen Stresses

Chronischer Stress führt außerdem zu dauerhaften Muskelverspannungen, die sich auf die gesamte Bewegungsqualität auswirken. Gestresste Hengste zeigen oft eine verkrampfte Haltung, bewegen sich steifer und sind anfälliger für Verletzungen. Diese körperlichen Probleme werden selten mit der Haltung in Verbindung gebracht.

Besonders betroffen sind oft der Nacken- und Rückenbereich. Ein Hengst, der ständig angespannt ist und seine Umgebung überwacht, entwickelt charakteristische Verspannungsmuster. Diese können zu dauerhaften Haltungsschäden führen und die reiterliche Nutzung beeinträchtigen.

Ständige Anspannung belastet auch das Herz-Kreislauf-System. Der Blutdruck steigt, die Herzfrequenz erhöht sich, und der gesamte Organismus läuft auf Hochtouren. Diese Belastung kann zu frühzeitiger Alterung und gesundheitlichen Problemen führen, die bei entspannt gehaltenen Pferden seltener auftreten.

Lösungsansätze und Verbesserungen

Viele Verbesserungen in der Hengsthaltung erfordern keine großen Investitionen, sondern vor allem ein Umdenken. Schon kleine Änderungen können erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben. Sichtkontakt zu anderen Pferden, regelmäßige Beschäftigung und strukturierte Tagesabläufe können den Stress deutlich reduzieren.

Wichtig ist dabei, die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Hengstes zu berücksichtigen. Was für einen Hengst entspannend wirkt, kann für einen anderen zusätzlichen Stress bedeuten. Die Kunst liegt darin, die richtige Balance zu finden.

Professionelle Hilfe nutzen

Bei schwerwiegenden Verhaltensproblemen oder gesundheitlichen Problemen sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Verhaltenstherapeuten, erfahrene Trainer oder spezialisierte Tierärzte können dabei helfen, die Ursachen zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln.

Oft ist eine Kombination aus verbesserter Haltung, angepasstem Training und medizinischer Betreuung notwendig. Der erste Schritt ist jedoch immer die Erkenntnis, dass viele Probleme hausgemacht sind und durch bessere Haltungsbedingungen vermieden werden können.

Die Erkenntnis, dass traditionelle Hengsthaltung oft mehr Stress verursacht als nötig, setzt sich nur langsam durch. Viele Probleme, die als „charakterbedingt“ abgetan werden, sind in Wirklichkeit Folgen ungeeigneter Haltungsbedingungen. Ein Umdenken hin zu artgerechteren Formen der Hengsthaltung würde nicht nur den Pferden helfen, sondern auch den Haltern das Leben erleichtern. Denn ein entspannter, ausgeglichener Hengst ist nicht nur glücklicher, sondern auch sicherer und angenehmer im Umgang.

Team Sanoanimal

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