Immer mehr Pferdebesitzerwünschen sich gezielter, auf die individuellen Bedürfnisse ihres Pferdes eingehen zu können – sei es bei (chronischen) Gesundheitsproblemen, wie Atemwegsbeschwerden, Hauterkrankungen oder Verdauungsproblemen, wie auch bei allen emotionalen Themen.
Denn trotz guter medizinischer oder naturheilkundlicher Betreuung, bleiben häufig Fragen offen:
Warum reagiert das eine Pferd so stark auf äußere Reize, während ein anderes völlig gelassen bleibt?
Weshalb heilen manche Beschwerden langsamer als erwartet?
Und warum spricht ein Pferd sofort auf eine Therapie an – während ein anderes kaum darauf reagiert?
Ayurveda kann hier neue Perspektiven eröffnen: mit einem Blick auf das Pferd als einzigartiges Individuum. Eine Sichtweise, die Haltung, Training, mentale Verfassung, Verdauung und Ernährung gleichermaßen berücksichtigt – denn all diese Faktoren stehen in direktem Zusammenhang und beeinflussen die Gesundheit.
Die ayurvedische Betrachtung zielt darauf ab, das natürliche Gleichgewicht im Organismus zu bewahren oder – falls es gestört ist – behutsam wiederherzustellen.
Was ist Ayurveda?
Viele verbinden mit Ayurveda zunächst Wellness, Yoga oder bittere Kräutertees – und liegen damit gar nicht so falsch. Tatsächlich gehört all das zum ältesten überlieferten Medizinsystem der Welt, das in Indien seit über 3.000 Jahren praktiziert wird.
In der Humanmedizin hat sich der Ayurveda längst als Ergänzung zur Schulmedizin etabliert und einen Schritt aus der Wellnessecke herausgeschafft.
In der Tiernaturheilkunde steckt dieser Ansatz den westlichen Ländern noch in den Kinderschuhen. In Indien hingegen werden Tiere traditionell ayurvedisch behandelt – mit Kräutern, einer artgerechten Ernährung und manuellen Anwendungen und das mit beachtlichen Behandlungserfolgen.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht die Behandlung einzelner Symptome, sondern das Verständnis des Lebewesens als Ganzes – seiner Lebensweise, Umwelt und individuellen Konstitution.
Für Pferde bedeutet das: Haltung, Training, Fütterung und Behandlung, sollten immer auf die individuelle Konstitution abgestimmt werden.
Ayurveda ist somit weit mehr als das Füttern von Kräutern – es ist eine Lebensführung. Eine Haltung, die uns und unsere Tiere als Teil des großen Ganzen versteht, in dem sich der Makrokosmos im Mikrokosmos spiegelt.
Grundlagen des Ayurveda
Ayurveda bedeutet „Das Wissen vom Leben“ (Ayus = Leben, Veda = Wissen).
Die Lehre basiert auf den fünf Elementen – Raum (Äther), Luft, Feuer, Wasser und Erde. Aus ihnen entstehen die drei grundlegenden Funktionsprinzipien: Vata, Pitta und Kapha – die sogenannten Doshas.
Diese drei Doshas wirken in jedem Organismus als Bioenergien. Sie beeinflussen Verdauung, Stoffwechsel, Verhalten, Temperament, Krankheitsneigung und nicht zuletzt die Futterverwertung.
Jedes Pferd bringt seine individuelle Dosha-Konstitution mit, die es zu erkennen und zu berücksichtigen gilt. Wer sich schon einmal gefragt hat, warum zwei Pferde im gleichen Stall auf das gleiche Futter unterschiedlich reagieren – der berührt unbewusst ein zentrales Prinzip des Ayurveda: Was dem einen Pferd gut tut, kann beim nächsten genau das Gegenteil bewirken. Während Ingwer bei dem einen harmonisierend wirkt, kann er beim anderen Beschwerden sogar verstärken. Nicht jedes Pferd profitiert von einem einheitlichen Behandlungsansatz – auch dann nicht, wenn er auf natürlichen Mitteln beruht. Ein Blick auf die Doshas erklärt, warum das so ist.
Die drei Doshas – Pferdepersönlichkeiten im Ayurveda und Herzstück des Ayurveda
Der Schlüssel zum Verständnis des Ayurveda liegt in der Lehre der drei Doshas. Der Begriff „Dosha“ kann wörtlich als „Fehler“ übersetzt werden und bedeutet sinngemäß „das, was Probleme verursacht“. Die Doshas werden auch als Bioenergien bezeichnet, die sowohl die körperlichen, als auch die geistigen Prozesse eines Individuums steuern.
Man könnte sie mit Musikinstrumenten vergleichen, die zusammen ein harmonisches Klangbild ergeben. Damit sie nicht disharmonisch klingen, müssen sie aufeinander abgestimmt sein. Dominiert ein Instrument zu stark oder spielt falsche Töne, gerät das gesamte Klangbild aus dem Gleichgewicht und Disharmonien entstehen. (vgl. Dr. med. Ernst Schrott, Ayurveda für jeden Tag, Mosaik Verlag 1994, S.11)
Jedes Dosha ist in allen Zellen, Geweben und Organen des Körpers wirksam, aber ebenso in der Psyche. Ein Ayurveda Therapeut wird daher die geistige Verfassung seines Patienten immer mit in seine Überlegungen zur Behandlung mit einbeziehen und sich nicht nur mit den körperlichen Symptomen einer Erkrankung befassen. So hat jedes Lebewesen seine eigenen individuelle Natur, die auch bestimmt, für welche Krankheiten es anfälliger ist, als andere.
Das Vata-Pferd – leicht, sensibel, beweglich

Vata-Pferde sind feingliedrig, feinsinnig und oft von einer sensiblen Natur geprägt. Sie sind lebhaft, manchmal nervös oder schreckhaft, aber zugleich sehr neugierig.
Sie lernen schnell, sind aber auch leicht ablenkbar. Vata-Tiere reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen, Wetterumschwünge oder emotionale Spannungen im Stall. Ihre enge Bindung zum Menschen zeigt sich in ihrer hohen Feinfühligkeit gegenüber der Körpersprache und der Emotionen ihrer Besitzer.
Gesundheitlich sind Vata-Pferde anfällig für eine unregelmäßige Verdauung, die sich in Verstopfung, Blähungen, Kotwasser oder Koliken äußern kann. Auch ihr Bewegungsapparat zeigt oft Beschwerden wie Muskelsteifheit oder Gelenkprobleme.
Ernährungstipps für Vata-Pferde:
Eine ruhige, regelmäßige Futteraufnahme ohne Herdenstress ist essenziell. Die Verdauung von Vata-Pferden arbeitet kontinuierlich, aber eher sensibel und weniger kraftvoll. Deshalb ist eine leichte, nährende und wärmende Ernährung wichtig – mit besonderem Fokus auf hochwertiges Raufutter. Das Krippenfutter darf ruhig einen etwas höheren Feuchtigkeitsgehalt haben, denn Vata-Pferde leiden häufig unter zu trockener Nahrung. Gut geeignet sind hier beispielsweise eingeweichte Heu- oder Esparsettecobs.
Während intensiver Trainingsphasen sollten Leckerlis besser vermieden werden, da Vata-Pferde dann Schwierigkeiten haben, das Futter gut zu verdauen.
Das Pitta-Pferd – stark, ehrgeizig, temperamentvoll

Pitta-Pferde sind athletisch, leistungsbereit und verfügen über ein ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen. Sie brennen für ihre Aufgaben – manchmal so sehr, dass sie dabei regelrecht „ausbrennen“. Ihr Temperament macht sie gelegentlich stur oder dominant, denn sie suchen klar definierte Führung und schätzen einen souveränen, vertrauenswürdigen Menschen an ihrer Seite. Für ihre Bezugsperson gehen sie „sprichwörtlich durchs Feuer“ – sie sind loyal, intelligent und fair im Umgang.
Ihr aktives Naturell bringt allerdings auch gewisse körperliche Herausforderungen mit sich: Pitta-Pferde neigen zu entzündlichen Hauterkrankungen, sowie Verdauungsproblemen wie Durchfall oder Übersäuerung.
Ernährungstipps für Pitta-Pferde:
Pitta-Pferde haben ein starkes, „brennendes“ Verdauungsfeuer – sie verfügen über einen guten Appetit und vertragen in der Regel größere Futtermengen, angepasst an Rasse und Leistungsniveau. Fresspausen sollten unbedingt vermieden werden, da sie sonst zu Säurebildung und Magengeschwüren neigen.
Bei Pitta-Überschuss sind kühlende Kräuter sinnvoll, während säurehaltige Komponenten (z.B. Heulage) unbedingt vermieden werden sollten.
Das Kapha-Pferd – ruhig, kraftvoll, genügsam

Kapha-Pferde strahlen Ruhe und Stabilität aus. Sie sind robust, ausgeglichen und in sich ruhend – oft jedoch auch etwas schwerfällig. Mit ihrem kräftigen, stabilen Körperbau gehören sie zu den eher genügsamen und friedliebenden Pferdetypen. Allerdings benötigen sie gezielte Motivation und regelmäßige Bewegung, da sie sonst zu Trägheit, Übergewicht und Stoffwechselproblemen neigen.
Die typischen Kapha-Eigenschaften bringen eine Neigung zur Schleimbildung mit sich – sowohl im Verdauungstrakt als auch in den Atemwegen. Ein Übermaß an Kapha, kann sich in Symptomen wie Verschleimung der Lunge, Ödemen, Übergewicht oder Juckreiz äußern.
Ernährungstipps für Kapha-Pferde:
Kapha-Pferde besitzen eine eher langsame und träge Verdauung. Ihre Fütterung sollte daher leicht verdaulich, stoffwechselanregend und möglichst reduziert gehalten sein.
Energiereiche Futtermittel, wie Kraftfutter und Öle sollten vermieden werden, ebenso stark befeuchtende Futtermittel, da sie das Kapha-Prinzip zusätzlich erhöhen. Heucobs und Mash etc. sollten also nicht übermäßig eingeweicht angeboten werden und nur bei Bedarf.
Tipp: Viele Pferde zeigen Mischformen. Eine ayurvedische Konstitutionsanalyse hilft, die Doshas und Symptome gezielt zuzuordnen und individuell zu behandeln.
Agni – das Verdauungsfeuer
Im Ayurveda ist Agni – das Verdauungsfeuer – entscheidend für Gesundheit und die Versorgung aller Gewebe. Es sorgt für die Umwandlung von Futter in Energie, Nährstoffen und stabile Gewebestrukturen, sowie für das Dosha-Gleichgewicht.
Ist Agni geschwächt oder überfordert, kann Ama entstehen – unverdaute Rückstände, die sich im Körper ablagern, das Gleichgewicht stören und die Grundlage für chronische Erkrankungen bilden.
Symptome wie stumpfes Fell, schleimiger Kot, Appetitlosigkeit oder wiederkehrende Infekte lassen sich häufig auf ein gestörtes Agni zurückführen.
Ziel der Fütterung ist es daher, Agni zu stärken – durch regelmäßige, konstitutionsgerechte Nahrung und gezielt eingesetzte Kräuter wie Guduchi, Amalaki oder Pippali.
Neben einer artgerechten und typgerechten Fütterung können auch ayurvedische Massagen eine sehr wertvolle Unterstützung sein. Die Erfahrungen mit dieser Form der Manualtherapie – abgestimmt auf Krankheitsbild und Konstitution – sind oft sehr berührend.
Ayurvedische Massagen – heilsame Berührung für das Gleichgewicht
Ayurvedische Massagen helfen, das Dosha-Gleichgewicht zu stabilisieren, das Verdauungsfeuer zu stärken und muskuläre sowie energetische Blockaden zu lösen. Je nach Typ kommen individuell abgestimmte Öle und Kräuter zum Einsatz, die tief in Gewebe und Nervensystem wirken – beruhigend auf Vata, kühlend auf Pitta oder aktivierend auf Kapha.
Gerade bei Pferden mit muskulären Verspannungen, Stoffwechselproblemen, Atemwegserkrankungen oder allgemeiner Unruhe können diese Anwendungen unterstützen – körperlich wie emotional.
Aus meiner Praxis: „Eine Stute mit erhöhtem Vata und blockiertem Pitta kam nach der Öffnung des Pitta-Nadis durch die Massage spürbar in ihr Gleichgewicht: ruhiger, zufriedener – und gleichzeitig leistungsbereit. Ihre wahre Pitta-Natur durfte sich endlich zeigen. Auch ihre seit neun Jahren bestehende Verdauungsproblematik mit Kotwasser und Durchfällen beginnt sich langsam zu regulieren.“
Fazit – Pferde ganzheitlich verstehen und wissen, was sie brauchen
Ayurveda eröffnet einen tiefgreifenden Weg zur Pferdegesundheit.
Indem jedes Tier als individuelles Wesen betrachtet wird – mit seiner ureigenen Konstitution, Geschichte, Haltung, Training und Fütterung – liefert Ayurveda nicht nur Erklärungen, sondern auch praktikable Ansätze für den Stallalltag, die Ernährung und Therapie.
Gerade bei Pferden, die „immer wieder auffällig“ sind, sich schlecht regulieren oder unerklärliche Beschwerden zeigen, kann ein ayurvedischer Blick neue Wege eröffnen.
Wer sein Pferd besser verstehen möchte, kann mit einer individuellen Konstitutionsanalyse den ersten Schritt machen – und damit nicht nur Symptome lindern, sondern Gesundheit ganzheitlich fördern.
- Ayurveda für Pferde - 22. August 2025